Zeitschrift für Literatur und Philosophie
Nicht(s)tun
Nicht(s)-Tun im Theater
Kattrin Deufert,  Josef Szeiler
Gespräch am 11.08.2000 im Bristol Hotel Frankfurt am Main
KD: Ich will hier mit dir über deine Theaterarbeit und das Nicht(s)-Tun sprechen. Und zwar konkret über Formen des Nichtstuns als mögliche Theateraktionen, die entweder gar nicht stattfinden (können), oder solche, die bewusst nicht ausgeführt werden, und auch über solche, in denen nichts passiert. Meiner Ansicht nach sind diese drei Formen des Nichtstuns spätestens seit der Avantgarde konstitutive Momente im Theater, oder vielleicht sogar generell in der Kunst.
Welchen Raum hat das Nicht(s)-Tun in deiner Theaterarbeit, die ich erst mal recht allgemein als Form 'Konkreten Theaters' bezeichnen würde? Damit meine ich, dass es dir im Theater nicht um Formen der Narration oder um Fiktionen von Wirklichkeit im Sinne eines 'Tuns als ob' geht, sondern um das 'Tun im Realen', um raumzeitliche und körperliche Realitäten des Spiels: du arbeitest ja meist über einen relativ langen Zeitraum mit einem bestimmten Textmaterial körperlich mit deinen Darstellern in Räumen (die fast nie herkömmliche Theaterräume sind) mit, ja, sagen wir, Versuchen aus Langsamkeit, mit möglichen Irritationen der Wahrnehmung.
JS: Ich denke, dass das das schwierigste ist an Theaterprojekten, das Nichts-Tun. Wenn da irgendetwas ist am Theater und Leute kommen, dann gibt es immer die Erwartung: Und wie geht es weiter? Der komplizierteste Moment ist es, das – wie du das nennst – Nichts-Tun oder Nicht-Tun zuzulassen. Sicherlich sind lange Zeiträume, lange Proben durchgehend über Tage eine Hilfe, denn da gibt es die Möglichkeit, dass sich das Nicht(s)-Tun automatisch einstellt, etwa über Erschöpfung. Grundsätzlich ist es ja erst mal immer (auch am Theater) leichter, mit Menschen zu reden als mit Menschen zu schweigen. Schweigen, Stille – oder wie immer man das nennen will – ist aber ein wichtiger Ausgangspunkt fürs Theater ...
KD: Mir ist da schon der Unterschied zwischen Stille und Schweigen in bezug auf das Nichts-Tun wichtig. Bei eurem 'Maßnahme-Projekt' (1) in Berlin seid ihr ja über mehrere Stunden schweigend durch die Stadt gegangen, von der Akademie der Künste (Ost) zu einem Pornokino am Zoologischen Garten. Das war natürlich eine Form des vorher abgesprochenen Schweigens, in gewissem Sinn einer (von dir) vorherbestimmten Form des Nicht-Tuns (Nicht-Sprechens). Es gibt aber auch Formen von Stille als Nichts-Tun in einer Theaterarbeit, die unvorher(hör)sehbar für alle Beteiligten auftreten können, die nicht verabredet sind, sondern unerwartet auftauchen und darin den Arbeitsprozeß unterbrechen, stören oder verändern.
JS: An dem Projekt, an dem wir jetzt gerade in Wien im Schlachthof(2) arbeiten, da ergibt es sich schon allein über die Größe der Anlage und dadurch, dass wir gemessen an der Größe der Anlage unglaublich wenige sind und durch die unterschiedlichen Jahreszeiten, in denen wir arbeiten, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, dass vieles pur und ungefiltert in die Arbeit einbricht, die Hitze, die Kälte ... Da ergeben sich ganz automatisch Phasen sogenannten Nichts-Tuns, die nicht verordnet sind. Verordnetes Nicht-Tun ist sicher leichter am Theater, denn das andere braucht Zeit.
Das ist eine Frage des Rhythmus. Solche Arbeiten greifen ja ins Leben ein, in deinen Lebensrhythmus, sie bestätigen nicht die gewohnten Rhythmen der Gesellschaft, die aus Arbeiten am Tag und Regeneration oder Reproduktion (oder wie immer man das nennt) in der Nacht bestehen. In unserer Arbeit sind die Übergänge fließender, da wir Tag und Nacht arbeiten, mal nur eine Stunde, mal 15 Stunden. Dadurch entstehen ganz andere Dinge in Bezug auf das Nichts-Tun und auch auf das Nicht-Tun ...
KD: Hm ...
JS: Wenn man mich fragen würde, wie lang ich gearbeitet habe an dieser Geschichte, die noch bis etwa November weitergehen soll, würde ich sagen fünf Jahre, aber de facto war ich eineinhalb Jahre draußen am Schlachthof. Aber seit '95 habe ich nichts gemacht, was ein Projekt wäre, also ich habe die Zeit gebraucht, um dahin zu kommen, wo ich im Moment bin. Die meisten würden sagen, dass ich also drei Jahre nichts getan habe. Aber die drei Jahre Nichts-Tun seit dem 'Philoktet' (3) in Berlin bis zum Beginn von 'Orestie/Fatzer' im Schlachthof in Wien sind ein Teil davon, nichts ist denkbar ohne das andere ...
KD: Kannst du für dich das Verhältnis von Nichts-Tun zwischen zwei Projekten zu deiner Theaterarbeit beschreiben?
JS: In meinem konkreten Fall galt es, den Berliner 'Philoktet' zu verarbeiten, also eine abgebrochene Arbeit. Natürlich ließe sich sofort etwas anderes anfangen, das passiert ja meist so am Theater, das kann oder konnte ich aber nicht. Der Abbruch, der geht ja noch weiter, der war für mich wie ein Klang ... bis der ausgeklungen war, d.h. all das zuzulassen, was da passiert ist. Dazu kommt dann das Private, dass ich eine Frau getroffen habe. Da entwickelt sich eine neue Intensität und irgendwann (man könnte immer sagen, das ist Zufall) zeige ich ihr, also der Claudia Bosse den Schlachthof und wir beschließen, dort etwas zu versuchen, drei Jahre nach dem 'Philoktet'. Seitdem sind wieder eineinhalb Jahre vergangen, in denen ich mich habe treiben lassen – auch innerhalb der Arbeit –, nicht wissend, wie das geht. Viele würden sagen, daß ich nichts oder wenig getan habe. Sie haben probiert und ich habe zugeschaut und bin wieder gegangen. Ich habe wenig selber probiert. Ich hab mich nur auf das Projekt eingelassen, weil darin beinhaltet war, dass ich die 'Orestie' mache. Claudia macht 'Fatzer' und ich die 'Orestie', das war meine Motivation, der Chor in der 'Orestie' als das einzige zentrale Moment, das mich interessiert, und daran habe ich gearbeitet. Nun zerfällt das Private wieder, die Arbeit kommt so hervor, wird zuende sein. Was bleibt – immer noch offen – ist für mich die 'Orestie', denn wir sind nur an den 'Agamemnon', den ersten Teil, gekommen, was Wahnsinn ist in Bezug auf die lange Zeit.
KD: Ist die 'Orestie' denn für dich auch so eine Art Nicht-Tun, das sich durch dein Leben, deine Theaterarbeit zieht?
JS: Ja. Das ist irgendwie, ich weiß auch nicht, was das ist, der Glutkern des Ganzen, seit mindestens 20 Jahren. Ich hab da drei Versuche gemacht – jetzt den dritten – den ersten zusammen mit Aziza Haas in Wien bei der Auflösung von 'Angelus Novus' (4), dann noch mal mit Aziza in Argos, das waren nur 14 Tage, aber das bezeichne ich als einen totalen Versuch. Und jetzt diesen, und wieder geht es nicht. Das erste mal haben wir sehr lange gearbeitet, fast drei Jahre, immer darauf hingearbeitet, dass wir es machen und dann abgebrochen, drei Monate vorher ...
KD: Hm ...
JS: Ja?
KD: Kommen wir vielleicht zu den Rhythmen des Nichts-Tuns in deiner Theaterarbeit zurück. War es für dich in deinen Versuchen manchmal reizvoll, an dem Punkt der völligen Erschöpfung, an dem eigentlich das Schlafen (auch eine Form des Nichts-Tuns) kommen müsste, gerade dann noch weiterzuarbeiten?
JS: Bestimmt hat das bei 'HomerLesen' eine Rolle gespielt, die Zeitdauer in Verbindung mit den Hexametern der 'Ilias', das Lesen über lange Zeit hat zu einem Erschöpfungszustand geführt. Dann haben einige Teilnehmer versucht zu schlafen, während andere weitergelesen haben. Als die wiederum aufgewacht sind und zu denen gingen, die nicht geschlafen hatten, die durch die Müdigkeit im Lesen der Hexameter empfindlich und angreifbar wurden, gab es in den Proben oft Vorwürfe, Abbrüche und Streit zwischen denen, die durchgearbeitet und denen, die sich ausgeruht hatten, die für die anderen dann unheimlich laut und unsensibel wirkten. Wenn du mit einer Form arbeitest, wie in diesem Fall mit 22 Stunden 'HomerLesen', dann verändert sich deine Wahrnehmung, dein Hören und Sehen und Gehen völlig, wenn du müde bist. Gerade die strenge Form des Hexameters war in diesem Fall der interessante Punkt in Bezug auf die Länge der Zeit. Das ist vielleicht das Schöne am Theater, dieses ganz andere Funktionieren der Wahrnehmung in der Zeit.
Bei den Proben mit der 'Hamletmaschine' (5) in Tokyo haben wir einmal über fünf Tage und Nächte durchgehend mit Improvisationen gearbeitet. Das lässt sich nicht durchhalten, weil wir das vorher nicht trainiert, sondern einfach so versucht haben. Am dritten Tag hab ich mich nach über 50 Stunden Improvisation mitten in die Halle gelegt, in der wir gearbeitet haben, und geschlafen. Als ich aufwachte, hörte ich eine Stimme in meinem Ohr und den Müller-Text ("Hier spricht Elektra ..."), ganz sanft und liebevoll von einer der Darstellerinnen gesprochen, dem ich mich gar nicht entziehen konnte. In diesem Moment war ich völlig diesem Text oder dieser Frauen-Stimme im Text in meinem Ohr ausgeliefert. So etwas ist mir vorher noch nie bei Proben passiert. Das war ein irrer Moment voll Schönheit, der auch wieder mit der Form der Arbeit zu tun hat und nur so entstehen konnte.
KD: Das mit der gemeinsamen – über eine Zeit lang – geteilten Form in Theaterprozessen erinnert mich an John Cage, der in seiner 'Lecture on Nothing' einerseits sagt: "Wenn jemand schläfrig ist, soll er schlafen." Und andererseits: "Was wir brauchen ist Stille, aber was die Stille will, ist, daß ich weiterrede" (6).
Vielleicht entstehen Formen von Nichts-Tun im Theater auch dadurch, dass Einige bereitwilliger aufgeben und loslassen und Andere wiederum weitergehen in einer bestimmten Form ...
JS: Ja, das war unsere Abmachung bei den fünf Tagen und fünf Nächten, dass es immer weiterlaufen sollte, dass niemals alle schlafen. Und auch wenn es nicht vorher abgesprochen wurde, haben niemals alle gleichzeitig geschlafen.
KD: Vermutlich braucht ja das Nichts-Tun im Theater gerade diese unausgesprochene Verabredung der Form, auch wenn dadurch den Spielern ein Freiraum entstehen mag, in dem man im Angesicht der Phantasien oder Möglichkeiten dessen, was passieren könnte, immer überfordert scheint, vielleicht sogar scheitern muß. Vielleicht ist das (teilweise) 'Nichts', das getan wird oder dabei entsteht, so eine Art Stillschweigen im Verharren der eigenen Phantasien und Fiktionen im realen Zusammenhang des Spiels ...
JS: Hm, ja – das sehe ich auch so ...
KD: Interessiert dich in deiner Arbeit innerhalb solcher Phasen, in denen einfach Zeit dafür da ist, dass nichts passiert, eher die Konfrontation mit den Zuschauern, die ja wiederum mit ihrem ganz eigenen Rhythmus ankommen?
Oder geht es dir mehr um das, was zwischen den Spielern passiert, die Emotionen, Aggressionen, Enttäuschungen, die vielleicht deutlicher spürbar sind, weil man sich über die gemeinsame Arbeit besser kennt, einen gemeinsamen Rhythmus in einer Arbeitsform teilt?
JS: Meistens entsteht Angst oder Stress in der Gruppe, wenn nichts passiert und noch schwieriger ist es, wenn Zuschauer da sind. Die kommen und man tut nichts, das sind tolle Momente, das geht, aber es fordert Mut bei den Spielern. Das kann ja, gerade wenn Publikum da ist, so einen Theaterraum auch völlig neu definieren, wenn nichts passiert, das hat eine Gelassenheit, die völlig ungewöhnlich ist in solchen Gebäuden. In den Proben ohne Zuschauer ist Nichtstun sehr schwierig, das zerfällt sehr leicht. Da wäre eine gemeinsame Konzentration im Nichts des Nichts-Tuns notwendig, die aber nicht so ohne weiteres herstellbar ist. Es ist schwer das zuzulassen, dass nichts passiert.
Im Hinblick auf den Zuschauer denke ich ganz gegen die Vorstellung im konventionellen Theaterbetrieb, dass es Anlagen gibt, wo es auf keinen Fall mehr Zuschauer als Spieler geben sollte. Bei Anlagen, die über lange Zeit ohne Unterbrechung laufen, kann viel passieren, wenn nur ein Zuschauer da ist oder vielleicht drei ...
KD: Dieses Argument finde ich in Bezug auf die Position des Zuschauers wichtig. Es gibt ja im Theater oft rein räumlich gesehen eine Reduktion der Präsenz des Publikums auf ein stilles Dasitzen und Zuschauen, was wiederum schon eine Art Nicht(s)tun oder zumindest eine passive Haltung repräsentiert.
Was du aber jetzt beschreibst, zeigt, dass es doch eine bestimmte Aktivität in den Blicken des Zuschauers gibt, die den Theaterprozess beeinflusst in dem, was augen-blicklich entstehen oder nicht entstehen kann.
JS: Eine solche Position ist für Theaterleute erst mal schwer zu akzeptieren. Aber viele, die mit Theater gar nichts zu tun haben oder in ganz anderen Kunstformen arbeiten, verstehen das sofort. Bei den Proben im Schlachthof jetzt – auch wenn sie immer öffentlich sind – genieße ich es, wenn ich der einzige sein kann, der zuschaut. Das ist natürlich Luxus, aber Theater ist nach wie vor ein Teil von Luxus.
Und es ist ja der Luxus, für den wir leben, denke ich, nicht der Alltag ...
KD: Hm.
JS: Es hat natürlich bei den Proben im Schlachthof was beunruhigendes für die Leute, wenn ich manchmal als einziger zusehe und dann nichts sage. Also es gibt eine Probe und ich gebe eine Anweisung, dann lässt man das laufen und nach ein paar Stunden geht man nach Hause und sagt gar nichts mehr.
KD: Das ist also ein Proben-Modus, den du dort praktizierst?
JS: Ja, das kann man nicht immer so ansetzen, aber es gibt oft nichts zu sagen, es ist eh immer toll. Das, was man sagen kann, ist die nächste Improvisation, entweder noch am selben oder am anderen Tag.
KD: Es kann ja im Prozess des Theatermachens wahrscheinlich auch ein Zwang sein, wenn du Anlagen setzt, dann für eine Weile zusiehst, und dann muß vielleicht etwas gesagt werden, wo es gar nichts zu sagen gibt ...
JS: Absolut, ja ...
(Pause)
KD: Nochmal zum Luxus. Luxus, auch Theater als Form von Luxus ist ja nicht ohne Alltäglichkeit zu denken. Deine Arbeit im Theater hat meiner Meinung nach etwas zu tun mit dem, was Cage "Demonstration eines Desinteresses" (7) nennt, als Form von Nichtstun, die zeigt, dass es im Theater oder generell in der Kunst nichts gibt (oder geben sollte), was man tun muß. Diese Haltung, die sehr stark von deiner Arbeit und auch deiner Person ausgeht, die ich mit Vorstellungen von Anarchie oder Luxus verbinde, läßt sich auch nicht einfach so in Frage stellen. Ich meine damit diese Momente von Öffentlichkeit, dass, vorausgesetzt, man will das eben, in deiner künstlerischen Arbeit, öffentlich demonstriert wird, dass nichts getan werden muß.
JS: Das wäre toll, wenn das so wäre, und auch, wenn das relativ leicht gehen würde. Auch das mischen zu können, dass man was macht und wieder nichts macht. Das sollte natürlich trotzdem eine Form haben. Ich glaube, es gibt eine Form von Nichts-Tun, die eine Qualität hat. Mir gefallen Situationen des Nichts-Tuns, ich könnte da auch Stunden verbringen. Man sieht da so viel beim sogenannten Nichts-Tun, wenn man eine Zigarette raucht zusammen, wie und worüber man redet. Manchmal zerfällt so eine Situation in eine unglaubliche Belanglosigkeit, manchmal in ein Interesse.
KD: Also hat das Nichts-Tun für dich nie etwas Bedrohliches im Theater?
JS: Nein, niemals. Das ist immer toll, selbst im konventionellen Theater gibt es ja das Nichts-Tun in Form von Fehlern oder Unterbrechungen, das finde ich immer interessant, auch vom Publikum, wie das dann reagiert, eigentlich immer mit gesteigerter Aufmerksamkeit. Es gibt ja eine Sehnsucht nach Irritation im Theater. Aber bedrohlich würde ich das niemals finden.
KD: Wohingegen du das ja in deiner Arbeit eher umdrehst. Was sonst Momente von Störung, von Einbruch des Alltäglichen in die Realität des Spiels sind, versuchst du wiederum als einen Prozess, der sich ausdehnen lässt, als eine Form von Stille oder Nichts-Tun in den Raum zu setzen.
Meinst du das vielleicht mit 'Form' – die eine Theaterarbeit deiner Meinung nach immer braucht –, die, auch wenn sie unsichtbar bleibt, 'Etwas' in den Raum setzten kann, die das 'Nichts' der Situation oder das Alltägliche ausstellt.
JS: Ich habe ja mal für die 'Theaterschrift' ein Gespräch zusammen mit Aziza Haas über Stille gemacht, über 'Laßt den Kojoten in den Zuschauerraum' (8).
Du kennst vielleicht diese Aktion von Beuys, 'Der Kojote', die er in New York gemacht hat, das ist eine meiner Lieblingsaktionen von ihm. Da hat er sich in New York sieben Tage und Nächte lang in einem Käfig zusammen mit einem Kojoten öffentlich ausstellen lassen.
KD: Gab es da auch Zuschauer?
JS: Ja, es gab einen Zuschauerraum, der sehr klein war. Der Käfig stand in einer Galerie. Aber für mich hatte diese Aktion etwas Inspirierendes fürs Theater in Bezug auf Kommunikation. Diese non-verbale Kommunikation eines Paars, die nicht kontrollierbar ist, die von Anfang bis zum Ende immer was Irritierendes hat.
KD: Denkst du, dass sich solche Aktionen noch radikaler oder immer wieder neu setzen lassen? Ich meine, vergleichbar mit dem 'Kojoten' ist ja auf einer ganz anderen Ebene das 'Silent Piece' von Cage, bei dem der Pianist Tudor einen Konzertraum betritt, sich an sein Instrument setzt, und für einen bestimmten Zeitraum nichts tut, beziehungsweise zumindest keine Töne anschlägt.
Meiner Ansicht nach sollte es in der Kunst noch viel häufiger solche Versuche aus Nichts-Tun, aus Stille geben, egal, ob das schon gemacht worden ist, oder nicht. Die Frage ist ja immer auch, wo man es macht und wie, ob in der Fußgängerzone, im Kaufhaus, in sogenannten Privaträumen oder in einem Theaterraum ...
JS: Ich weiß nicht, ob so was in der Fußgängerzone funktionieren könnte. Die Fußgängerzone bewegt sich ja schon, auch ohne mein Zutun, da müsste ich dann was dazu- oder entgegensetzen, was mich nicht so interessiert.
Mir geht es eher darum, einen Rahmen zu setzen und in dem Rahmen gibt es Anordnungen. Also ein Regelsystem.
Und da gibt es dann Freiheiten ...

Fußnoten

(1) Theaterarbeit in der Akademie der Künste zu Berlin (1990). Vgl. dazu: Haas, Aziza u. Szeiler, Josef (Hrsg.): Menschenmaterial 1. Die Maßnahme. Berlin 1991
(2) MykeneMassaker. Orestie (Aischylos) / Fatzer-Fragment (Bertolt Brecht): Theaterarbeit von Claudia Bosse und Josef Szeiler im Wiener Schlachthof (1998-2000).
(3) Philoktet von Heiner Müller. Theaterarbeit von Josef Szeiler am Berliner Ensemble (1995). Siehe hierzu auch: Heiner Müller: Philoktet. Ein Brief. Traumtext. Drucksache 17. Berliner Ensemble. Berlin 1995.
(4) TheaterAngelusNovus (1981-1988): 3-Jahres-Projekt ORESTIE (1986-1988): Teil 1 – HomerLesen, Teil 2 – Tod des Hektor, Teil 3 – Wien/Moskau/Chabarowsk/Moskau/Wien). Vgl. dazu: Haas, Aziza: TheaterAngelusNovus. Antikenmaterial VI. Tod des Hektor. In: Maske und Kothurn. Internationale Beiträge zur Theaterwissenschaft. 36. Jahrgang/1990, Heft 1-4.
(5) Heiner Müller: Hamletmaschine. Theaterarbeit von Josef Szeiler in Tokyo (1992). Siehe hierzu: Haas, Aziza (Hrsg.): HamletMaschine.Tokyo.Material. Berlin 1996.
(6) John Cage: Vortrag über Nichts. In: Silence. Übersetzt von Ernst Jandl. Frankfurt am Main 1987. S.7 u. 23.
(7) "Kontinuität heute, wo sie notwendig ist, ist eine Demonstration des Desinteresses. Wie verschieden doch dies Formgefühl von jenem ist, das an Erinnerung gebunden ist." John Cage: Vortrag über Nichts. A.a.a.O., S. 9.
(8) Siehe: Theaterschrift 4. Die Innenseite der Stille. Berlin 1993.