
DPK: Was hat es mit dem Requiem auf das Madeleine-Gebäck von Marcel Proust auf
sich? Ist Madeleine schon tot? Vadim Zakharov: Die "Tötung des Madeleine-Gebäcks" hat schon stattgefunden,
nun muss es angemessen beerdigt werden. Mir gefällt diese Idee, mit einem
Requiem ein Festival zu eröffnen. Normalerweise steht ein Requiem am Ende,
aber bei uns stellt es den Anfang dar. Das eröffnet einen Raum zwischen
Kunst und Verbrechen, zwischen dem Ende und dem Anfang, und ist
gleichzeitig ein geeigneter Schlüssel für die unterschiedlichen Ideen,
die den Kontext des Festivals bilden. Diese Ideen changieren zwischen
Krimi, Parodie und Hollywood. Für mich ist das Madeleine-Gebäck ein
Archiv der Assoziationen, die Proust in der Madeleine gesehen hat. Ich bin
dafür, das zu beenden, indem dieses Madeleine mit äußerst brutalen
Mitteln umgebracht wird. DPK: Warum haben Sie sich für das Proustsche Madeleine entschieden? Zakharov: Für mich war es wichtig, ein allgemeines Thema auszuwählen, das jeder
kennt. Für Intellektuelle ist das Madeleine eine anspruchsvolle
Herausforderung. DPK: Das ist ernste und hohe Kultur. Zakharov: Ja, aber ernst an der Grenze zu Kitsch. Es war mir wichtig, das Thema
Madeleine an der Grenze zwischen Ernsthaftigkeit und Kitsch wieder zu
finden. Intellektuell sein, ist kitschig sein. Ich hatte mich entschieden,
Proust in Kafkas Prozess hineinzubringen. Kafka war wie eine Grenze.
Proust war drinnen und Kafka draußen, drumherum. Diese Installation
bestand aus einem großen Tisch mit drei Stühlen, wie in einem richtigen
Prozess. Am Rand lagen kleine Stückchen Madeleine. DPK: Die Madeleine wohnte in Kafkas Prozess? Zakarov: Ja, aber es war eine wirkliche Konfrontation. Kafka ist für mich ein
anspruchsvoller intellektueller Diskurs, und es war wirklich spannend, das
beides zusammenzubringen. Anfangs war Kunst und Verbrechen eine ziemlich
komische Kombination. DPK: Das Festival findet am Wochenende von Allerheiligen statt und wir beginnen
es mit einem Requiem. Ich möchte Sie nach der Verbindung zwischen Theater
und Kirche fragen: Das Theater als ein Raum, in dem wir jetzt ein Requiem
hören werden. Zakharov: Auch das ist ein schöner Abstand zwischen einer hohen und niederen Ebene. Die Kirche ist mein Gebiet, ich trete in vielen Aktionen in der Theaterrolle
des Pastors auf. Zwar nicht in diesem Projekt, aber man braucht immer
diese ideologischen Figuren, um zu spielen. Ich bin wie das Madeleine, das
die Ideologie bereits umgebracht hat. Für russische Künstler spielt die
Ideologie eine wichtige Rolle. Warum ich mich für den Titel Pastor
entschieden habe? Pastor bezeichnet eine Position außerhalb Russlands,
weil es sie in Russland nicht gibt. Ich weiß nicht, wie es für Leute aus
der westlichen Welt ist, ich kenne nur einige wenige westliche Arbeiten,
die mit Ideologie zu tun haben, mit heiligen Orten, der Hölle etwa. Für
Russen ist das vollkommen nahe liegend. DPK: Noch einmal zurück zum Archiv. Wie funktioniert das Archiv? Zakharov: Ich mache eine Parodie. Ich ermorde Madeleine, stelle aber ein Archiv
zusammen. Es ist mir wichtig zu erklären, dass meine Position als Künstler
auf beiden Seiten sehr merkwürdig ist. Man kann sagen: Kunst und
Verbrechen, Kunst und Philosophie, Kitsch und Ideologie; sie können nie
allein stehen. Man braucht immer etwas anderes, ein drittes Element, um
der Problematik Tiefe zu verleihen oder vielleicht auch mehr Spaß. Fällt
Ihnen etwas dazu ein? "Kunst, Verbrechen und..."? DPK: Religion haben wir ja schon... Zakharov: Oder Kunst, Verbrechen und Kinder. Man benötigt eine dritte Sache, um
eine Plattform entstehen zu lassen, um zu sehen, worüber man nachdenkt,
was für einen Hintergrund man hat, was im Bewusstsein ist. Wir haben den
sakralen Aspekt Ihres Projektes angesprochen. Um eine Plattform für Ihr
Projekt zu schaffen, sollten wir die Atmosphäre eines sakralen Ortes
erzeugen, aber eines sakralen Ortes der Dummheit. Die Limousine, die uns
in das Theater fahren wird, könnte aus Hollywood oder einem Krimi kommen.
Aber die anschließende Lesung sollte eine spirituelle Atmosphäre
erzeugen, wie eine Liturgie. DPK: Eine Liturgie... Zakharov: Ja, es sollte vor Kraft strotzen und danach sollte so etwas wie Leere
einkehren. Das wäre eine sehr wichtige Erkenntnis für die Anwesenden:
Das wird etwas sehr Volles, etwas Tiefes, sehr Sakrales. Und dann kommt
die Leere.
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