Zeitschrift für Literatur und Philosophie
Kunst & Verbrechen
Kunst & Verbrechen. Anmerkungen zum Motiv
Anselm Franke, Sylvia Sasse, Stefanie Wenner
Sind Künstler Verbrecher? Kann ein Kunstwerk ein Verbrechen sein? Wer verhandelt die Freiheit der Kunst?
Obwohl die Freiheit der Kunst vom Gesetz garantiert wird, ist sie kein rechtsfreier Raum. In Deutschland hört die Freiheit der Kunst dort auf, wo das Urheberrecht beginnt oder Persönlichkeitsrechte anderer verletzt werden. In Russland gibt sich eine neue weltliche und geistliche Zensur zu erkennen, die sich das Recht nimmt, Werke als pornografisch oder blasphemisch einzustufen und vor Gericht zu bringen. Doch was passiert, wenn Kunst vor Gericht gestellt wird? Wird der Richter dann zum Kunstkritiker, der Kunstkritiker selbst zum Verteidiger oder Ankläger? Mit welchen Mitteln wird verteidigt und Recht inszeniert? Welche und wessen Gesetze gelten dann? Nach Bataille überschreitet der souveräne Künstler Grenzen, Kunst wäre demnach immer schon Verbrechen und mit Schuld belastet. Die Frage nach der Legitimation von Überschreitung, von Wirkung und Souveränität, ist so immer zugleich Gegenstand unterschiedlicher Gesetzgebungen, die miteinander konkurrieren. In diesem Spannungsfeld steht auch die Möglichkeit künstlerischer Grenzüberschreitung und Wirkung zur Disposition.
Joseph Beuys hatte anlässlich eines Besuchs des Dalai Lama eine Fettecke eingerichtet. Die ca. 25 cm hohe Arbeit aus 5 kg Butter war im Raum 3 der Düssseldorfer Kunsthochschule angebracht worden. Diesen Raum hatte man Beuys zur Verfügung gestellt, nachdem seine Suspendierung von der Akademie gescheitert war. Nach Beuys' Tod musste der Raum geräumt werden, die Fettecke blieb als Skulptur erhalten. Eines Tages allerdings waren nur noch Reste der Arbeit zu finden: im Mülleimer. Was war geschehen? Der einmal gefasste Verdacht erhärtete sich rasch: die Putzfrau hatte wohl, in Unkenntnis des künstlerischen Wertes der Arbeit, diese für Schmutz gehalten, der bereinigt werden musste. Allerdings stellte sich bald heraus, dass weder eine Putzfrau noch ein später verdächtigter Hausmeister für die Zerstörung der Arbeit verantwortlich gemacht werden konnte. Von hier an ist alles Legende und die dreht sich um Reinigung. Die Putzfrau, die wegwischte, was nicht weggewischt werden sollte, schien die ideale Figur für die Unwissenheit gegenüber den Gesetzen der Kunst: aber Nichtwissen schützt nicht vor Bestrafung.
Hygiene, das sind Regulationsprozesse und Praktiken rund um Sauberkeit, Reinheit, Verschmutzung und Infektion; sowohl in Bezug auf den physischen Körper, die seelische Verfasstheit als auch auf den sozialen Körper. Hygiene etabliert Regeln, Gesetze. Diejenige Figur, die den gesellschaftlichen Apparat sämtlicher Reinigungsfunktionen aktiviert, ist der Verbrecher. Alle Verfahren der Definition des Verbrechens sind Verfahren der Hygiene: Der Verbrecher gleicht der Verunreinigung, er verursacht eine Störung des Gleichgewichts in einem imaginären Körper, dem Staat. Der Akt institutioneller Rechtsprechung und die sich anschließende Strafe ist der Akt einer Säuberung.
Auch Künstler werden umgetrieben von der Idee der Reinigung - einer gesellschaftlichen, kulturellen Hygiene, im Sinne einer Klärung und Erneuerung. Die Tragödie sollte nach Aristoteles den Zuschauer genau von jenen negativen Leidenschaften reinigen, die ihm auf der Bühne vorgespielt wurden. Die Konsequenz ist, dass das Theater den Zuschauer bei den dargestellten Verbrechen zur Teilnahme aufruft, seinen von Leidenschaften erregten Geist verführend in die Tiefe des gespielten Verbrechens zieht, ohne ihm die Mittel dieser Überschreitung zu gestatten. Imitieren, simulieren ist bereits ein Verdachtsmoment, das Theater ein Verbrechen.
Der Futurist Filippo Tommaso Marinetti sprach am Vorabend des ersten Weltkriegs vom "Krieg als einziger Hygiene der Welt", später ist es der Faschismus, in dem er die Ziele seiner avantgardistischen Bewegung, des Futurismus, verwirklicht sieht. Kunst wird im Namen des Gesetzes zum Verbrechen. Während die historischen Avantgarden die Kunst von der Pflicht zur Katharsis reinigen wollten, existiert diese Aufgabe heute weiter im Mainstream-Kino als moralischer Anstalt.
Beuys, der seine Arbeiten auch als Reinigungsprozesse verstanden wissen wollte, wurde postum durch die Putzfrau mit dem Paradoxon der Subversion konfrontiert. Indem sie die Arbeit zerstörte, stellte sie den White Cube, den reinen Raum der Kunst, her.
Der Künstler setzt sich, seit er in die Autonomie entlassen wurde, dem Verdacht aus, nicht zu reinigen, sondern zu kontaminieren. Künstler sind Verbrecher, weil sie scheinbar jenseits der Macht der hygienischen Institutionen und deren Gesetzgebung stehen. Der Autonomiestatus der Kunst innerhalb des institutionalisierten Rechtssystems bleibt ein Paradox. Wohl gibt sich die Kunst eigene Gesetze, diese gelten aber nur, solange sie wirkungslos bleiben. Gerät Kunst unter Verdacht, läuft es meist darauf hinaus, dass der Beamte vor Ort nicht feststellen kann, ob es sich um Kunst oder um ein Verbrechen handelt.