Zeitschrift für Literatur und Philosophie
Kunst & Verbrechen
Anklageschrift zu Avdej Ter-Oganjans Aktion in der Manege
(Auszug) 
Staatsanwalt der Stadt Moskau S. I. Gerasimov
Staatlicher Justizberater der 2. Klasse

Anklageschrift
zur Strafsache Nr. 202275
über die Anklage gegen Ter-Ogan'jan, Avdej Stepanovič
in der Strafsache nach Art. 282, Teil 1
des StGB der Russischen Föderation

Die Strafsache Nr. 202275 über den Straftatbestand der nationalen, rassistischen und religiösen Hetze nach Artikel 282, Teil 1 des StGB der RF wurde am 18. Dezember 1998 vom Bezirksstaatsanwalt des Chamovnicesker Bezirkes, S. I. Gerasimov , der Stadt Moskau eingeleitet. Das Verfahren wurde am 23.12.1998 vom Untersuchungsrichter der Abteilung der Moskauer Staatsanwaltschaft aufgenommen.
Die Untersuchung ergab Folgendes: Am 03.12.1998 wurde zwischen A. S. Ter-Oganjan und den Organisatoren der internationalen Kunstmesse "Art-Manege", die vom 4.12. bis zum 10.12.1998 im Zentralen Ausstellungssaal "Manege" in Moskau stattgefunden hat, der Vertrag Nr. 70 abgeschlossen, wonach Ter-Oganjan als Ausstellungsteilnehmer eine kostenfreie Ausstellungsfläche während der ganzen Ausstellungszeit zugesichert wurde. Über die Absicht, seine Meinung in einer Weise zu demonstrieren, die den Respekt gläubiger orthodoxer Bürger verletzen sollte, setzte er die Messeorganisatoren von Beginn an nicht in Kenntnis. Am Vortag der Ausstellung kaufte er in dem Geschäft "Sofrino" 26 orthodoxe Ikonen. Seine Absicht war, die Ikonen mit einem Beil während der Ausstellung zu zerhacken. Mit diesem Ziel hatte er ein Beil erworben und eine Anzeige mit folgendem Inhalt vorbereitet: "Sehr geehrte Kenner der zeitgenössischen Kunst, hier können Sie ausgezeichnetes Ausgangsmaterial für Gotteslästerung erwerben". Weiter wurde in der Anzeige allen Interessenten vorgeschlagen, jede beliebige Ikone zu schänden oder sich über die Ikonenschändung zu Hause beraten zu lassen.
Im Laufe des gesamten ersten Ausstellungstages am 4.12.1998, von 17.00 bis 21.00 Uhr, befand sich Ter-Oganjan im Ausstellungssaal unmittelbar vor seiner Stellwand, an der die am Vortag erworbenen Ikonen nebeneinander aufgehängt wurden. Zwischen 19.00 und 21.00 Uhr rief er die Bürger zur Schändung auf und verleitete sie dazu, die Handlungen zur Schändung der Ikonen selbst zu vollziehen. Danach nahm er im Beisein zahlreicher Besucher von der Hinterwand die Ikonen ab, legte sie auf den Boden und zerhackte sie. In dieser Weise wurden von ihm acht Ikonen geschädigt.
Als Angeschuldigter verhört, bekannte sich Ter-Oganjan für nicht schuldig und sagte aus, dass er ein überzeugter Atheist und der Glaube an Gott Unsinn sei. Das Thema des Projektes sei vorher nicht abgesprochen worden. Jedoch habe er Romanova, eine der Organisatoren der Ausstellung, in Kenntnis davon gesetzt, dass er bereits geschändete Ikonen auszustellen beabsichtige. Romanova habe ihm die Ausführung dieses Projektes verboten, aber er habe entschieden, seine Idee unmittelbar während der Ausstellung zu realisieren.
Der als Zeuge angehörte A. A. Ivanov erklärte, er sei Generaldirektor des privaten Wachdienstes "Boss", der den Zentralen Ausstellungssaal (ZAS) "Manege" bewachte. Am 4.12.1998 seien 5 Personen im Dienst gewesen, gegen 21.00 Uhr sei er zur Ausstellung gekommen, um die Schließung am Ende des Arbeitstages zu kontrollieren. Er habe erfahren, dass einer der Künstler Abbildungen von Ikonen zerhackt hätte. Als er zum Stand mit den Ikonen gekommen sei, habe er bemerkt, dass neben dem Stand auf dem Boden eine große Menge Späne von Ikonen lag. Die Ausstellungsbesucher hätten sich über das Geschehen empört. Das technische Personal habe die Ikonenabbildungen auf die Weisung der ZAS-Leitung von der Wand genommen, aber Ter-Oganjan sei dagegen gewesen. Jedoch habe der ZAS-Direktor KarakaŠ geantwortet, dass er bei der Ausstellung solche Aktionen nicht zulassen werde. Ter-Oganjan habe versucht, die Ikonenabbildungen wieder an die Wand zu hängen, aber das Wachpersonal habe ihn zum Ausgang begleitet und er habe die Ausstellung verlassen.
Die Schuld des Angeklagten wird auch durch folgende, in der Strafsache gesammelte Beweise festgestellt:
Aus dem historisch-kunstwissenschaftlichen Gutachten eines Spezialisten der altrussischen Kunst geht hervor, dass die von Ter-Oganjan zerhackten Ikonen Druckerzeugnisse sind, die typographisch hergestellt und auf eine Orgalyt-Grundlage geklebt wurden. Sie sind weder historisch noch künstlerisch wertvoll und stellen keine historischen oder kulturellen Denkmäler dar.
Zahlreiche bei der Moskauer Staatsanwaltschaft eingegangene Briefe von Bürgern, die sich über Ter-Oganjans Handlungen als Angriffe auf ihre Ehre und Würde, konstitutionelle Freiheiten und ihr Verhältnis zur Religion empören. Die Untersuchung fügt einige Auszüge aus den Briefen der Bürger, u.a. Sammelbriefen, auf. Aus dem Brief der Familie Petrovs u.a.: "Wir bewerten das als Beleidigung der Orthodoxie, als Beleidigung unserer religiösen Gefühle und unseres nationalen Volkseigentums".
Nach der Analyse der vorgelegten Beweise kommt die Untersuchung zum Schluss, dass Ter-Oganjan vorsätzlich handelte. Das wird vor allem durch sein äußerst negatives Verhältnis zur orthodoxen Religion erhärtet, was durch die oben genannten Videoaufnahmen seiner Interviews bestätigt wird, die er in der Zeit vor der Einleitung der Strafsache gegeben hatte. Im Laufe der Voruntersuchung behauptete Ter-Oganjan, dass seine Absicht nicht die Anstiftung zur Religionsfehde gewesen sei. Der Untersuchungsrichter ist jedoch der Meinung, dass die Aussage konstruiert sei, mit dem Ziel, sich der Verantwortung für das begonnene Vergehen zu entziehen.
Aufgrund des oben Angeführten wird Ter-Oganjan angeklagt, Handlungen verübt zu haben, die religiösen Hass hervorrufen sollten. Die Handlungen wurden öffentlich durchgeführt. Er setzte die Kuratoren über das Thema seines Projektes vorsätzlich nicht in Kenntnis.
Durch seine Handlungen beging Ter-Oganjan ein Verbrechen nach Art. 282 Teil 1 des StGB der RF.
Die Anklageschrift wurde in Moskau am 25. März 1999 verfasst. Gemäß Art. 35 und 207 der Strafprozessordnung der RSFSR wird die Strafsache an die Moskauer Staatsanwaltschaft zur Bestätigung der Anklageschrift an das Gericht weitergeleitet.



Der Untersuchungsrichter der Moskauer Staatsanwaltschaft für besonders schwere Straftaten Ju. Krylov