Was hat man sich unter dem Titel Gestik in Texten vorzustellen? Will man
nicht allein die Darstellung von Gesten in Texten beschreiben, sondern nach der
Möglichkeit eines selbst gestischen Textes fragen, dann wird deutlich, das die Geste eine
Kategorie ist, die den herkömmlichen Rahmen des Textbegriffs überschreitet. So hat
beispielsweise Michel Foucault in einem Essay zu Batailles exzessiver Poetik die
Grenzüberschreitungen dieses Diskurses mit stupender Selbstverständlichkeit eine
'Geste' genannt.(2) Foucault äußert sich
nicht zur metaphorischen Funktion dieses Begriffs und die Beschreibung der Geste als
transgression des herrschenden Diskurses bleibt so äußerst kryptisch. Nichtdestotrotz
glaubte man in der Foucaultrezeption, einen 'gestischen' Zug des Denkens
entdeckt zu haben und Peter Bürger bestimmte die Foucaultsche Geste emphatisch als eine
"Kategorie des Textes"(3).
Mit dieser Antwort stellen sich die entscheidenden Fragen allerdings erst: Wie, und vor
allem wieso, soll eine körperliche Gebärde zum Element eines schriftlichen Zeichenraums
erklärt werden? Und inwiefern hat sie das Potential, diesen Bereich des Semiotischen zu
überschreiten? Ein Anschauungsbeispiel bietet allenfalls die mittelalterliche Neume (gr.
néuma, Wink), jenes Zeichen, das vor der Etablierung einer Notenschrift, in der jedes
Notenzeichen genau eine Tonhöhe repräsentiert, nur die Richtung, welcher die
Stimmführung zu folgen hatte, angibt. Die Zeichen folgen den Gesten des Cantors und
gleiten auf einer analogen Skala.
Die Neumen sind ein Beispiel für ein 'gestisches' Zeichensystem. Ihr Kontrast
zur 'digitalen' Notenschrift eröffnet Raum für die Utopie, die sich
prinzipiell an die Integration gestischer Momente in semiotische Zusammenhänge heftet:
Die Unlesbarkeit dieser Zeichen spiegelt die Flüchtigkeit der Musik. Damit scheint das
gestische Moment eine Repräsentationsform zu erlauben, die anders als die arbiträren
Zeichensysteme 'Note' oder 'Sprache' Fühlung zum Prozeßhaften von
Musik und Leben hält.(4) Daß diese Utopie immer
wieder Renaissancen erlebt, kann mit Hartmut Winklers medienhistorischem Argument erklärt
werden, demzufolge die Evolution der Medien der Sehnsucht folgt, die Arbitrarität der
Zeichen zu überwinden. Die Krisengeschichte der Medien zeitigt immer wieder den Wunsch
nach einer analogen "Realaufzeichnung."(5)
Der Versuch, diese unmittelbare Fühlung zum Realen und zum Jenseits des Diskurses durch
die Umstellung auf kommunikative Funktionen des Körpers zu bewahren, ist zunächst
naheliegend.(6) Dennoch stellt sich für die
Rekonstruktion der Geschichte dieser Umstellung die grundsätzliche Frage nach der
faktischen Fumnktion der Geste. Sie kann zum einen die Körpergebundenheit seiner
Produktion betreffen – z.B. die Geste des Schreibens –, zum anderen die
Materialität des Produkts, seine graphische Gestalt, die die Schreibgeste dann z.B. für
den Blick des Graphologen bewahrt.(7) Wenn der Geste
aber über diese Beobachtung konkreter Körperakte hinaus ein genuines textuelles
Potential unterstellt wird, vollzieht sich ein Kategorienwechsel vom tatsächlichen Akt
der Gebärde zu einem metaphorischen Begriff der Geste. Denn de facto hat die Fokussierung
körpersprachlicher Elemente ja nie dazu geführt, daß sich Philosophen oder
Kommunikationstheoretiker mit Händen und Füßen unterhalten hätten, sondern immer nur
zu einer Ansetzung gestischer Momente innerhalb von Texten. Hierzu zählen im
Sprachgebrauch ihre Entwurfhaftigkeit, ihre rhetorische Inszenierungen, ihr Stil usw.
Diese Nähe textueller Strukturen oder Schreibweisen zu körpersprachlichen Momenten will
ich im folgenden als 'gestisches Schreiben' bezeichnen. Die Bezeichnung
'das Gestische' soll dabei die Grenze des Metaphorischen markieren und ich
definiere es hier als diejenige Unterstellung, daß bestimmte – graphische,
argumentative oder rhetorische – Elemente und Strukturen eines Textes dazu geeignet
sind, den Innenraum seiner gewöhnlichen Lesbarkeit auf ein Ausdruckspotential hin zu
überschreiten. In Frage steht dabei, inwiefern die hieran geknüpfte Hoffnung an einen
unmittelbaren, authentischen Ausdruck jenseits sprachlich-arbiträrer Codes zur Einsicht
in die unumgängliche Codierung aller Artikulation steht.(8)
Einerseits scheint der Körper ein 'natürliches' Medium zu sein, andererseits
wird er seinerseits diskursiviert. Seine Gesten stehen im Spannungsfeld von Authentizität
und Codierung.(9)
Die Rekonstruktion eines Diskurses der Geste vollzieht sich in diesem Spannungsfeld und
muß sich vor den präsenzmetaphysischen Implikationen des Modells hüten. Ich werde daher
diejenigen Theorien des gestischen Schreibens vorstellen, die diese Schwierigkeiten
bereits innerhalb ihres theoretischen Modells reflektieren und letztlich an einem Begriff
des Gestischen arbeiten, der der Apotheose der Authentizität wie der Generalisierung der
Codierung gleichermaßen begegnet.(10)
Dazu werde ich drei Schritte unternehmen: Zunächst wird die skizzierte Aporie einer
verschrifteten Körperkommunikation historisch herzuleiten und an ihrem für die Moderne
entscheidenden diskursiven Knotenpunkt zu entfalten sein, bei Friedrich Nietzsche.
Anschlies-send möchte ich drei Modelle diskutieren, die in impliziter Anknüpfung an
Nietzsche diese Aporie des Gestischen zu umgehen versuchen: Artaud, Benjamin und Deleuze.
Anhand dieser Analysen werde ich einen – systemtheoretischen – Vorschlag machen,
was unter Foucaults klärungsbedürftiger Unterstellung einer grenzüberschreitenden Geste
der Texte zu verstehen ist. Wird das Gestische in dieser Weise theoretisch gefaßt und
nicht nur metaphorisch behauptet, kann das Konzept ein theoretisches Potential gewinnen,
das den Rahmen eines konkreten Verständnisses von Gesten – bei Flusser oder
Leroi-Gourhan etwa – übersteigt. 1. Spricht der Körper, so spricht, ach! schon der Körper nicht mehr Die für die Beobachtung des Gestischen zentrale Unterscheidung zwischen
Authentizität und Codierung prägt die Debatte um den Status der Körpersprache in deren
theoriegeschichtlicher Heimstätte, der Rhetorik. Deren fünftes Lehrstück, die actio,
bildet den Übergang zwischen der mündlichen Inszenierung eines Textes und dem
literarischem Diskurs: Die eloquentia corporis betrifft die Performanz eines Textes,
innerhalb derer die Gesten auf eine Stufe mit den sprachlichen Figuren der elocutio
rücken.(11) Einerseits wird die Kommunikation damit
an die natura gebunden, andererseits unterliegt diese Praxis der ars und der exercitatio.(12) Die Kategorisierung und das Training der Gesten in barocken
Rhetoriken erzeugen situationsspezifische Erwartungsstrukturen, und das heißt: sie
codieren die Sprache des Körpers.
Diese Ausbildung eines Gestencodes führt zwangsläufig zu einer Gegenbewegung, die sich
seit dem 18. Jh. in Plädoyers für mehr Natürlichkeit äußert. Die Gebärde wird im
Rahmen der Forderung nach 'Entrhetorisierung' als ein nicht arbiträres,
unmittelbares und authentisches Körperzeichen konzeptualisiert. Kommunikation soll durch
die Spontaneität des Körpers anstelle seiner sozialen Regulierung zu einer
'Herzenssprache' optimiert werden.(13)
Die Frage ist, inwieweit dieses Modell einer physiognomischen Kommunikation verhindern
kann, daß ihr Material erneut zu einer "Affektsemiotik"(14)
gerinnt. Die im 19. Jh. unter dem Etikett der Lebensphilosophie argumentierenden Autoren
haben sich daher bemüht, den körperlichen Ausdruck vollständig von allen sprachlichen
Strukturen freizuhalten. Denn die Digitalität und Arbitrarität der Sprache könne der
individuellen Vielförmigkeit der Realität niemals gerecht werden, lautet beispielsweise
die bekannte Position Nietzsches.
Für Nietzsche ist die Wortsprache eine abkünftige Form der Kommunikation, die sich
– evolutionsgeschichtlich betrachtet – schon sehr weit von dem ursprünglichen
Bezeichnungsakt entfernt hat. An dessen Anfang habe die "Mundgeberde" gestanden,
die "das Bild des Wesens" zu vermitteln imstande gewesen sei. Sie steht, wie es
unter der Überschrift Gebärde und Sprache heißt, für eine unmittelbare Reproduktion
des kommunizierten Gefühlszustands beim Rezipienten. Er erfährt das Mitgeteilte quasi am
eigenen Leibe:
Die nachgeahmte Gebärde leitete Den, der nachahmte, zu der
Empfindung zurück, welche sie im Gesicht oder Körper des Nachgeahmten ausdrückte.(15)
Der Körper ist also die Bühne eines unmittelbaren Austauschs. Diese "Leiblichkeit
des Ausdrucks" ist die Utopie einer außersymbolischen, aber semantisch-konnotativ
aufgeladenen Sprache, die den Fallstricken der "Tonzeichensprache" – die
nurmehr die"Symbolik der Gebärde" ist – entgehen und an den
"Urzustand" der Sprache zurückführen kann.(16)
"Der Leib kann nicht lügen", heißt es im Zarathustra, und auch der späte
Nietzsche predigt noch den Ausgangspunkt vom Leibe und der Physiologie: [...] Das direkte
Befragen des Subjekts über das Subjekt und alle Selbstbespiegelung des Geistes hat darin
seine Gefahren, daß es für seine Tätigkeit nützlich und wichtig sein könnte, sich
falsch zu interpretieren. Deshalb fragen wir den Leib und lehnen das Zeugnis der
verschärften Sinne ab [...]. [N/3 475]
Hier erklingt das Vertrauen in einen authentischen Ausdruck des Innen durch
sein physiognomisches Außen. Nietzsche fordert nun die Integration dieses Ausdrucks in
ästhetische Gebilde.(17) "Alle Kunst wirkt als
Suggestion auf die Muskeln und Sinne [...]" [N/3 753], heißt es für die
Rezipientenseite, und für die Produktion verkündet Nietzsche: Gut ist jeder Stil, der einen inneren Zustand wirklich mitteilt,
der sich über die Zeichen, über das Tempo der Zeichen, über die Gebärden – alle
Gesetze der Periode sind Kunst der Gebärde – nicht vergreift. [...] Die Kunst des
großen Rhythmus, der große Stil der Periodik, zum Ausdruck eines ungeheuren Auf und
Nieder von sublimer, von übermenschlicher Leidenschaft, ist erst von mir entdeckt [...].(18)
Dies ist das emphatische Projekt einer Schreibweise, das sich zwar aus einem
Verständnis von Gebärden speist, deren wörtliche Referenz aber von einem im
übertragenen Sinne 'gestischen' Potential überlagert wird. Der grundsätzliche
Anspruch der Sprachursprungsdebatten des 18. und 19. Jahrhunderts, Gebärden seien
gegenüber den spezifizierten und abstrahierenden Lautsprachen eine unmittelbar und
allenthalben verständliche "Universal-Sprache"(19),
wird hier nicht nur behauptet, sondern zum Programm des schriftlichen Ausdrucks erklärt.
Das Problem ist offensichtlich: Die Gebärde wird in einen semiotischen Raum integriert,
und es fragt sich, ob sie innerhalb desselben ihre asemiotische Tendenz in gleicher Weise
aufrechterhalten kann, wie wenn sie zeichenhaft codierten Kommunikationsformen
entgegengesetzt wird. Dieses Problem hat Nietzsche durchaus gesehen. In unmittelbarer
Nachbarschaft zu der zitierten Emphase einer leiblichen Authentizität bemerkt Nietzsche:
"Die Forderung einer adäquaten Ausdrucksweise ist unsinnig." Und das, weil
aller Ausdruck innerhalb der Kunst sprachlichen Konventionen folgt, da er, sobald er
innerhalb eines ästhetischen Ausdruckszusammenhangs gebraucht wird, notwendig zeichenhaft
wird:
Man teilt sich nie Gedanken mit: man teilt sich Bewegungen mit,
mimische Zeichen, welche von uns auf Gedanken hin zurückgelesen werden.(20)
Die Spannung zwischen Authentizität und Codierung des Gestischen prägt
Nietzsches Philosophie unmittelbar. Neben Thesen zur physiologischen Unmittelbarkeit der
Gebärde steht die ironische Einsicht in die Rhetorizität aller zeichenhaften Entwürfe,
und seien sie gestischer Natur. Diese Aporie des Programms einer unmittelbaren
Kommunikation bei gleichzeitiger Einsicht in die unumgängliche Arbitrarität aller
semiotischer Konvention als 'Trope' der Wahrheit hat die nachfolgenden
Konzeptualisierungen des Gestischen in der Moderne geprägt. Entscheidend für die stete
Subvertierung der Authentizität durch den Code ist, daß Authentizität im 18. Jh., bei
Nietzsche und seinen Lesern behauptet werden muß, um sich artikulieren zu können. Dem
Körper wird Natürlichkeit zugesprochen, aber eben durch dieses Zusprechen wird er
diskursiviert. Das Sprechen über die Natur läßt sie selbst 'verstummen'.(21)
Das erste Fazit lautet also, daß es zwar eine diskursgeschichtliche Evidenz ist, daß der
Körper und seine Gesten für einen authentischen Ausdruck vereinnahmt werden, daß aber
der Körper durch diese Diskursivierung nur als soziales Konstrukt und semiotisches System
greifbar wird. Hinter diesen Codes verschwindet der Körper 'an sich'. Nietzsche
artikuliert dieses Dilemma. Die Frage, die sich in der Nachfolge Nietzsches stellt, ist,
ob es eine Möglichkeit gibt, das Spezifische des Gestischen innerhalb diskursiver
Kontexte zu bewahren. Die Antwort kann nur in einem Denken der Geste liegen, das der
Kritik an der arbiträren Sprache folgt, ohne in der Konsequenz einen unmittelbaren
körperlichen Ausdruck zu postulieren. 2. Manifestation, Selbstreferenz und Decodierung
Ich möchte im folgenden in aller Kürze drei Modelle präsentieren, die
einen Vorschlag in die Richtung dieser Lösung machen. Um Mißverständnissen vorzubeugen:
Ich behaupte nicht die Gültigkeit solcher Konzepte einer Gestik der Texte, sondern stelle
zunächst nur ihre diskursive 'Präsenz' im 20. Jh. fest. Die Gebärde der Hand
hat allenthalben – in der Philosophie bei Heidegger, in der Ästhetik bei Focillon
– Konjunktur, und vielleicht ist dies ein Erklärungsansatz dafür, warum innerhalb
der ästhetischen Moderne das Theater eine prominente Position einnimmt. Die Bühne ist
der Ort der Gesten und die Texte, die für die Bühne verfaßt werden, müssen diese
Tatsache eines gestischen Begleitcodes zumindest mitberücksichtigen. Und die theatrale
Revolution, die sich mit dem Namen Antonin Artaud verbindet, hat sogar gefordert, das
Theater ganz und gar als körpersprachliche Manifestation zu begreifen, das sich unter
keinen Umständen dem Diktat der Worte fügen dürfe.
Artauds Invektiven gegen Sprache und Texttheater enthalten viele Topoi der Sprachkritik.
Und sein Setzen auf ein "théatre pur" beruht zwangsläufig auf einer Konzeption
der Gebärde, der räumlich-körperlichen Darstellung.(22)
Doch ganz anders als Brecht, der etwa zeitgleich in Deutschland den Schwerpunkt der
theatralen Aktion ebenfalls auf den gestischen Code verlegt,(23)
ist Artaud bemüht, dem Gestischen einen Status jenseits der Codierung zu verleihen.
Der eigentliche Bereich des Theaters, das muß gesagt werden, ist
nicht psychologisch, sondern plastisch, körperlich. Und es geht nicht um die Frage, ob
die körperliche Sprache des Theaters imstande ist, dieselben psychologischen Lösungen zu
erreichen, wie die Sprache der Wörter, ob sie Gefühle und Leidenschaften ebensogut
auszudrücken vermag wie die Wörter, sondern ob es nicht im Bereich des Denkens, des
Verstandes Haltungen gibt, die einzunehmen die Wörter nicht imstande sind und die die
Gebärden [frz. gestes] und alles, was an der Sprache im Raum teilhat, mit größerer
Treffsicherheit erreichen als sie. [TD 76]
Artauds Programm steht Nietzsche sehr nahe: Nicht nur, weil er sein Theater
als unmittelbare Manifestation des Lebens versteht, sondern auch im Verständnis der
Gebärden, die in der Lage sein sollen, die darzustellenden Affekte unmittelbar
hervorzurufen. Gebärden haben die Fähigkeit, aus einer geistigen Vorstellung heraus eine
körperliche Realität zu entwerfen. Das nennt Artaud eine "Metaphysik der
Gebärden" [TD 60]: die Gesten sind jenseits der traditionellen Codes der
Repräsentation die Produktion von Affekten, nicht ihre Abbildung. Diese "dichte
Gestik" [TD 64; frz. gesticulation touffue) geht über Nietzsches Physiologie hinaus:
Sie kennt keine Vorgängigkeit und schreibt sich in kein Bezeichnungssystem ein, sondern
entwirft allererst das, was sie bezeichnet.(24) Das
heißt, sie ist Zeichen und Bezeichnetes ineins, reine Manifestation als
"leidenschaftliche Projektion all dessen, was an objektiven Konsequenzen aus einer
Gebärde [...] gezogen werden kann." [TD 78]
Zwar leistet auch eine solche "unmittelbare körperliche Sprache" [TD 129] eine
Diskursivierung des Körperlichen. Wenn Artaud dieser gestischen Sprache aber unterstellt
"echte Wirkung, doch ohne praktische Konsequenzen" [TD 124] zu sein, so
integriert er in sein Modell ein Moment, das dieser Diskursivierung immanent
entgegenarbeitet. Der Verzicht auf "Konsequenzen" ist der Verzicht auf
Ausbildung eines Codes: Das Theater der Gesten ist als augenblickshafte Ausdehnung ohne
Gedächtnis konzipiert. Der erste Vorschlag zu einem Begriff des Gestischen liegt also
darin, das entwurfhafte Potential der Gesten dahingehend zu nutzen, daß ihre
zeichenhaften Artikulationen nur für sich stehen. Weder repräsentieren sie eine
authentische Befindlichkeit, noch erlauben sie die Ausbildung eines Codes. Die Geste ohne
Referenz und System ist reine Manifestation und diese Betonung des projektiven Charakters
des Gestischen bei Artaud ein Angebot, die Aporie von Authentizität und Codierung zu
vermeiden.
Natürlich bleiben auch die Gesten des Theaters der Grausamkeit iterierbar, auch und
gerade wenn sie sich an das balinesische Theater halten, denn dieses ist ja nicht
uncodiert, sondern besteht aus – allein für den europäischen Betrachter unlesbaren
– Zeichen. Überdies bleibt noch unklar, ob Artauds Programm für eine Konzeption des
gestischen Schreibens taugen kann. Artauds Gebärden sind ja zunächst einmal diejenigen
auf der Bühne. Seine Schreibweise scheint von deren Entwurfhaftigkeit zwar deutlich
beeinflußt (Artaud schreibt explizit 'Manifeste', von lat. manifestus,
'handgreiflich'), und Jacques Derrida hat entsprechend behauptet, bei Artaud
sollen auch "Sprache und Schrift [...] wieder zu Gesten werden".(25) Doch die Frage, wie man sich das über eine bloß
metaphorische Übernahme hinaus vorstellen kann, bleibt offen.
Die fragliche Übertragbarkeit wird in einem zweiten Vorschlag deutlicher, den zeitgleich
mit Artaud Walter Benjamin gemacht hat. Auch Benjamins Begriff der Gestik leitet sich
zunächst vom Theater her, und zwar in Auseinandersetzung mit der Theorie Brechts.
Benjamin beobachtet hier, wie sich die Funktion der Geste vom authentifizierenden Ausdruck
in einen Modus der Demonstration im Sinne von Brechts Programm der Verfremdung verschiebt:
Im epischen Theater verweisen die Gesten nicht auf die Handlung oder den inneren Zustand
des Schauspielers, sondern auf ihren eigenen Status als theatrale Zeichen. Sie sind ein
Zeigen des Zeigens und zitieren sich quasi selbst: "'Gesten zitierbar
machen' ist die wichtigste Leistung des Schauspielers; seine Gebärden muß er
sperren können wie ein Setzer die Worte."(26)
Die Frage ist, wie solche Gesten den Sprung von der Bühne in den Text vollziehen.
Offensichtlich gibt es etwas am geschriebenen Text, daß der gemeinten Gestenhaftigkeit
entspricht: das Sperren der Buchstaben als Verweis auf ihre Zeichenhaftigkeit
beispielsweise. Hier scheint die Geste ganz Code zu sein. Und nur vor diesem Hintergrund
ist Benjamins sonstiges, scheinbar so konträres, Plädoyer für die Authentizität der
Gebärde zu verstehen. Denn Benjamin beschäftigt sich gleichzeitig intensiv mit der
graphologischen Lehre, derzufolge die Handschrift eine Materialisierung der Schreibgeste
darstellt. Die Schrift ist die physiognomische Spur des Inneren des Menschen, oder, wie
Ludwig Klages dies differenzierter konzipiert, "Ausdruck" eines
charakterologisches Rasters.(27) Benjamin führt aus:
Die Sprache hat einen Leib und der Leib hat eine Sprache [...]
Dahingehend hat freilich die Graphologie durchaus es mit dem zu tun, was an der Sprache
der Handschrift das Leibhafte, am Leibe der Handschrift das Sprechende ist. [III 138]
Das graphologische Programm ist hier pointiert zusammengefaßt: An der
Materialität der Schrift bleibt die ausdrucksvolle Spur der Körpergeste ablesbar. Dies
scheint einen Rückfall hinter die Einsicht in die Arbitrarität aller Zeichen
darzustellen. Adorno hat entsprechend gegen Benjamins "Tendenz, die Geste der
Unmittelbarkeit [...] auf die Geste im somatischen zu reduzieren" eingewandt, es sei
eine "undialektische[...] Ontologie des Leibes", letzteren zum "Maß der
Konkretion" zu erheben. Adorno resümiert: "Deshalb ist mir beim Gebrauch von
Worten wie Geste [...] stets unbehaglich."(28)
Dieses Unbehagen gegenüber der Behauptung von Unmittelbarkeit verflüchtigt sich, wenn
man das Argument umkehrt, und Benjamin nicht unterstellt, vom Leib auf den Text zu
schließen, sondern statt dessen die Zeichenstruktur des Textes zum Modell des
körperlichen Ausdrucks zu wählen.(29) Dann ist der
»anthropologische[...] Materialismus« ein Materialismus der Gesten als Zeichen.
Benjamins entscheidender Schritt über die Graphologie hinaus ist es dann aber, diese
Zeichen nicht länger übersetzen zu wollen:
Es ist also nicht aller Sinn, welcher in einer Handschrift
aufweisbar ist, charakterologisch deutbar. [...] Eine [...] Beschreibung der Handschrift,
welche [...] Rechenschaft von der Deutung zugleich mit der Deutung selbst ablegt, ist
demnach das letzte Ziel jeder graphologischen Analyse. [VI 185]
Die Graphologie reflektiert hier die Konstruktivität ihrer Lektüre. Der
Charakter determiniert die Schrift nicht so, daß deren Materialität in seinen Zügen
aufginge. Vielmehr erlaube
in der Handschrift das Phänomen des schriftlich-sprachlichen
Ausdrucks besonders tiefen Einblick in die durch den 'Charakter' an der
'Natur' vollzogenen Differentiation [...]." [VI 185]
Diese "Differentiation" führt in den Anschein einer authentischen
Repräsentation die Unterscheidung eines in selbst instabilen Codes ein. Die Spur der
Gesten in der Schrift ist kein decodierbarer Text, sondern eher das "Bild, das wir
schreibend in unsere Handschrift wickeln." [III 137]. Diese
"'ideographische[...]' Schriftdeutung" wird entsprechend nur die
graphische Gestalt der Schrift betrachten. Als "Bilderschrift" ist diese zwar
das Produkt einer leiblichen "Innervation" [II 766], aber nicht länger
unmittelbar und eindeutig lesbar.(30)
Die Geste der Handschrift geht in ihrer Bildlichkeit auf. Diese Möglichkeit einer
bildlichen Lektüre von Schrift überträgt Benjamin auf alle Arten von Schrift –
also auch auf gedruckte Texte.(31) In dieser Hinsicht
sind diese dann 'gestisch': Sie unterlaufen den Repräsentationscharakter des
Schreibens, "[werden] immer wieder neu vom Verfasser inszeniert und beschriftet
[...], ohne ihren symbolischen Gehalt einer bestimmten Stelle auszuliefern." [II
1264]. Der gestischen Bilderschrift ist – wie der barocken Allegorie – die
Vergänglichkeit ihrer Bedeutungen eingeschrieben, mehr noch: die Geste ist eine Setzung,
die ihr eigenes Vergehen impliziert. Gestische Texte – Benjamins Beispiel ist Kafka(32) – sind entsprechend solche, die den inszenatorischen
Charakter ihrer Sinnangebote offenlegen. Diese "gestische Darstellungsweise" [II
1228] betreibt weder einen "anthropologischen Materialismus", noch folgt sie
einem stabilen Code. Vielmehr verweist sie allein darauf, daß überhaupt verwiesen werden
kann, wie das bereist im Falle der zitierbaren Gesten des Brechtschen Schauspieler zu
sehen war. Diese Selbstreferenz der Gestik verhindert sowohl die vorschnelle
Authentifizierung der Lektüre als auch ihre Fixierung zu einem Code. Gestische Schrift
verweist auf sich selbst als potentiellen Verweis und ist so ein Aufschub evidenter oder
lesbarer Sinnpräsenz.(33)
Zu Artauds Modell der Manifestation tritt Benjamins Vorschlag der Selbstreferenz des
Gestischen. War bei Artaud noch die Bühne selbst der Schauplatz der Gesten, so hat er
sich in Benjamins graphologischem Zugang schon auf das Papier des Schreibenden
zurückgezogen. Und doch hat das zeichentheoretische Argument Benjamins wieder ein wenig
Distanz zur Frage nach dem Gebärdenhaften einer Textur im nicht metaphorischen Sinne
hergestellt. In der Betonung der Bildlichkeit ist sie allerdings aufgehoben: Denn ein Bild
bleibt, anders als das gedruckte Buch, als Produkt der Materialisierung einer Geste
sichtbar. Und Gilles Deleuze, mein dritter Zeuge für eine Theorie des Gestischen, hat
anhand dieses Beispiels – der Malerei Francis Bacons(34)
– nach der Spur der Geste gesucht. Er findet sie dort, wo die Bilder sich eine
spezifische Beweglichkeit bewahren. Denn entgegen der traditionellen
("digitalen") Vorstellung, die Hand das Malers führe aus, was sein inneres Auge
konzipiere, beobachtet Deleuze bei Bacon "manuelle Referenten" des optischen
Raums: Das Bild ist nicht nur Produkt einer Geste, sondern selbst gestisch, insofern es
die vom Auge dominierte Form irritiert.(35)
Das Gemälde bleibt eine visuelle Realität, dem Blick aber drängt
sich ein formloser Raum und eine ruhelose Bewegung auf, denen er nur mit Mühe folgen kann
und die das Optische auflösen. [FB 94]
Diese neue Ordnung der Bilder nennt Deleuze ihr "manuelles
Diagramm": Die gestische Repräsentationsweise bildet explizit "keine kodierte
Formel" [FB 95], sondern verteilt seine "informelle[n] Kräfte" über das
Gemälde, die dessen "deformierte[...] Partien" bewirken [FB 96]. Ein solches
Bild ist eine "Katastrophe" [FB 97] im Wortsinn: eine stete Wendung weg von dem,
was eben noch zu sehen war, eine Serie, die sich aus den verschiedenen möglichen
Bezugssetzungen zu neuen, instabilen Formen wandelt. Ordnen sich bei Betrachtung der
Bilder die Linien und Flecken immer wieder neu, dann sieht der Betrachter eine sich
modifizierende Form und damit das Moment der Bewegung innerhalb des Tableaus selbst
realisiert. Das Gestische ist die Fluchtlinie des Bildes:
Kurz, da [das Diagramm] manuell ist, muß es in das visuelle
Ensemble reeinjiziert werden, wo es Konsequenzen entfaltet, die es übersteigen. [FB 97]
Die Relevanz dieses Denkens für ein neues Textmodell hatte Deleuze zusammen
mit Félix Guattari bereits im Anti-Ödipus anklingen lassen:
Wenn hier eine Schrift vorliegt, so die des Realen selbst,
eigenartig polyvok und nie bijektiv, linearisiert; eine transdiskursive, keine diskursive
Schrift.(36)
Diese Schrift ist zwar Ausdruck, aber aufgrund ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf eine
Ursache kaum authentisch, und sie ist zwar eine Schrift, aber aufgrund ihrer Flüchtigkeit
kein stabiles Zeichensystem.(37) Deleuze/Guattari
lesen die stete Neuproduktion von Wünschen als Bewegung einer unaufhaltsamen Decodierung
des Vorangegangenen, oder, übertragen auf unseren Fragehorizont: Die Tatsache, daß das
Gestische eine Bewegung des steten Neuentwurfs ist, führt dazu, daß seine Zeichen auf
kein zugrundeliegendes System zurückverweisen, sondern noch ihren eigenen Code immer
wieder neu definieren.
Mit dieser Geste als Artikulation ohne Referenten oder System schließt sich der Kreis zum
eingangs präsentierten Modell Artauds. Deleuze schreibt in Differenz und Wiederholung:
Das Theater der Wiederholung tritt dem Theater der Repräsentation
gegenüber, wie die Bewegung dem Begriff und der Repräsentation gegenübertritt [...]. Im
Theater der Wiederholung erfährt man reine Kräfte, dynamische Bahnen im Raum, die
unmittelbar auf den Geist einwirken und ihn direkt mit der Natur und der Geschichte
vereinen, eine Sprache die noch vor den Wörtern spricht, Gesten, die noch vor den
organisierten Körpern [...] Gestalt annehmen [...]."(38)
Dieses Programm der Geste setzt auf Produktion statt auf Repräsentation.
Geste sind weder Ausdruck von noch Zeichen für etwas, sondern steter Neuentwurf eines
manuellen Blicks. Sie ist Bewegung, die sich in ihr Produkt einschreibt und dessen
Geformtheit in Bewegung hält. Dadurch bewirkt sie eine Prozessualisierung des Lesbaren
wie das Decodieren der Formen.
Dieser Decodierungsprozeß der Geste bildet gemeinsam mit ihrem manifestartigen und
selbstreferentiellen Charakter diejenige diskursgeschichtliche Konfiguration, in der sie
im 20. Jahrhundert jenseits ihrer traditionellen Aporie siedelt. Artaud, Benjamin und
Deleuze formulieren Thesen, die sich in Hinblick auf dieses Jenseits vernetzen und
dokumentieren damit zumindest die Faktizität der Konjunktur eines neuen Denkens des
Gestischen. Ich will abschließend einen kurzen Ausblick geben, wie diese Angebote der
Manifestation, der Selbstreferenz und der Decodierung in eine allgemeinere Theorie
gestischen Schreibens übersetzt werden können und damit den eingangs zitierte
Gestenbegriff Foucaults etwas konkretisieren. 3. Die Geste der Transgression
An drei Beispielen war zu sehen, wie der körperlichen Gebärde ein
Potential zugesprochen wurde, Kommunikation zu prägen. Dieses Potential – das hat
die drei Ansätze verbunden – war einerseits, das gestische Zeichengebilde so zu
gestalten, daß es weder einem vorgängigen Code gehorcht noch einen solchen ausbildet.
Andererseits kamen alle drei Theorien darin überein, daß auch das damit gewonnene
Ausdruckspotential des Gestischen nicht einheitlich und dauerhaft verfaßt sei und damit
nicht für ein Modell authentischer Kommunikation tauge.
Weder der höfische Gestenkodex noch die Unmittelbarkeit der Gebärde zwischen
Empfindsamkeit und Lebensphilosophie also: Artaud, Benjamin und Deleuze setzen zwar immer
auf der einen Seite dieser Unterscheidung an, reproduzieren sie aber, systemtheoretisch
gesprochen, auf dieser Seite jeweils wieder, so daß sie anstelle eines einheitlichen
Modells ein Paradox zum Ergebnis haben:(39) Artaud
aktualisiert für sein Theatermodell die Form des unmittelbaren Ausdrucks und verweist
alle zeichenhafte Artikulation nach außen. Er überschreitet diese Grenze aber selbst,
indem er diese von einer vorgängigen Zeichensprache geläuterten Produkte der
Schauspieler zu neuen, "lebendigen Hieroglyphen" [TD 58] erklärt. Benjamin
setzt genau umgekehrt an: er markiert die materielle Zeichenhaftigkeit der Gesten, indem
er sie von der Möglichkeit, eine innere Befindlichkeit auszudrücken, abgrenzt. Innerhalb
dieses abgegrenzten Raums thematisiert er dann aber das Leibhafte der Zeichen und
relativiert durch diesen Übergriff seinen Materialismus als anthropologischen. Die
Paradoxie, die diese beiden Grenzüberschreitungen des Gestischen aus seinem
selbstkonstituierten Feld hinaus erzeugen, wird schließlich bei Deleuze augenfällig:
Wenn weder die Markierung des Auges noch die der Hand einander jeweils dauerhaft
dominieren können, dann wird die Unterscheidung zwischen Auge und Hand unscharf und die
Geste zur Bewegung zwischen beiden.(40)
Durch diese Paradoxierung der Leitunterscheidung kann das Gestische als Funktion des
Übertretens einer kommunikativen Grenze bestimmt werden. Das eingangs vorangestellte
Benjamin-Motto dokumentiert allerdings, wie diese Übertretung den Schritt zurück –
in den Raum der 'Ursprünglichkeit' oder 'Natürlichkeit' –
ausschließt. Der Versuch seiner Reintegration muß im Paradox enden. In die Terminologie
Luhmanns gefaßt handelt es sich dabei um das re-entry der Differenz von Authentizität
und Codierung auf der jeweils markierten Seite: Einerseits bedarf Kommunikation dieser
Unterscheidung und kann fortan auch nur noch das durch diese Unterscheidung Eingegrenzte
beobachten. Andererseits kann sie innerhalb dieses Binnenraums die erste Unterscheidung
reproduzieren und damit den an sich unmarkierten Außenbereich auf der markierten Seite
auftauchen lassen. Genau dieser Logik zufolge greift die hier gemeinte Gestik aus dem
marked space der Codes bzw. der Natürlichkeitsrhetorik in den jeweiligen unmarked space
über. In dieser Funktion liegt ihr Potential, das Reich der Codierung zu verlassen, ohne
in das der Authentizität zurückzufallen und vice versa.
Das Gestische leistet dann eine paradoxe Integration des nicht Markierbaren. Als
gestisches Schreiben ist es die transgression, das crossing des diskursiven Binnenraums.
Diese Geste ist kein Rückgriff mehr auf bekannte Wissensbestände, Subjektfixierungen
oder Sinnrepräsentationen, sondern die Eröffnung eines neuen Raums, ohne ihn zu
markieren. Mit dieser systemtheoretischen Figur wird Foucaults Behauptung einer
grenzüberschreitenden textuellen Gestik in einer logischen, die möglichen Referenzen
dieses Diskurses betreffenden Weise, greifbar: Im 'Übergriff' in den unmarked
space, im markierungslosen Aufreißen des Unmarkierbaren läge ihr, diskursive
Kommunikationsmittel transzendierendes, Potential.
Das re-entry bei Luhmann ist allerdings nicht in dieser modellhaften Weise denkbar,
sondern ist ein Prozeß, der Zeit beansprucht. Entsprechend muß auch die Geste der
Überschreitung in ihrer paradoxen, sich selbst entgegenlaufende Struktur temporalisiert
gedacht werden: Sie ist zugleich setzend und aufhebend, eine Bewegung, die etwas codiert,
es jedoch durch den Fortgang des Bewegens sogleich wieder verändert, und das heißt:
zurücknimmt, decodiert. Ein solches Modell ist die Fluchtlinie einer gestischen
Kommunikation jenseits des Mythos der Authentizität und der Restriktion der Codierung.
Ihre materielle Fluchtlinie ist die Figur des gestischen Schreibens. Welche literarische
Form diese Figur annehmen kann, möchte ich abschließend an eine Textausschnitt aus
Thomas Bernhards Gehen illustrieren. Kommunikation, Körperlichkeit und Textualität
werden hier von einer kaum mehr lesbaren Geste umgriffen:
Wenn ich gehe, sagt Oehler, denke ich und behaupte ich, ich gehe
und auf einmal denke ich und behaupte ich, ich gehe und denke, weil ich das denke,
während ich gehe. Und wenn wir zusammen gehen und diesen Gedanken denken, denken wir, wir
gehen zusammen und auf einmal, wir denken, wenn auch nicht zusammen, wir denken, aber es
ist etwas anderes. [...] Wenn wir gehen, sagt Oehler, kommt mit der Körperbewegung die
Geistesbewegung. [S. 88]
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