Zeitschrift für Literatur und Philosophie
Amerika
Vollendetes Verhängnis. Adornos Amerika.
Ingo Stöckmann
I
Anekdoten, man weiß es seit den politisch entlarvenden "Anekdota" des Prokopios von Cäsarea, haben ihren charakteristischen Kern. "Adore? No" titelte der Theaterkritiker der New Yorker "Village Voice" 1982, nachdem die wenig erfolgreiche Premiere eines Stücks unter dem anspielungsreichen Titel "The Dialectic of Enlightenment" über die Bühne eines kleinen städtischen Theaters gegangen war. Ob die Leser der "Village Voice" das wohlgesetzte Wortspiel goutieren konnten, bleibt allerdings fraglich. Denn Adorno, soweit er über die engen Grenzen der wissenschaftlichen "community" überhaupt zur Kenntnis genommen wurde, ist noch 1982 das, was er der intellektuellen Öffentlichkeit Amerikas bereits in den 40er Jahren gewesen war: eine von Mutter und Tante gehätschelte Primaballerina des deutschen Weltgeistes, ein intellektueller Snob und soziologischer Kategorienzauberer, dessen spekulative Thesen jegliche empirische "evidence" (Adorno, Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, 115) vermissen ließen und die offenbar dazu angetan waren, die Galaxie des Verständlichen endgültig zu verlassen. Bewunderung und Verehrung, jene "adoration", auf die der wortflinke Theaterkritiker angespielt hatte, sind Adorno im Land der schwindelerregenden Möglichkeiten jedenfalls vorenthalten geblieben. Er selbst hat sein amerikanisches Leben, einer gern zitierten Losung zu folge, als "beschädigtes" (Adorno, Minima Moralia, 35) Leben verstanden.
Adornos Amerika-Tournee beginnt im Februar 1938, als der "advanced student" in Oxford seine Koffer schließt und nach New York übersiedelt. Hier wird Adorno Mitglied des von Max Horkheimer geleiteten "Instituts für Sozialforschung", zugleich wissenschaftlicher Mitarbeiter am "Princeton Radio Research Project", dessen musikalische Abteilung er leitet. Doch schon 1941 sperrt die Rockefeller Foundation die finanziellen Mittel; Adorno, vom Vorwurf getroffen, seine Mitarbeiter auf höchstem Niveau in Konfusionen zu stürzen, verläßt New York und wechselt nach Los Angeles, wo die gemeinsam mit Horkheimer verfaßte Dialektik der Aufklärung entsteht. Ab 1944 ist Adorno am "Berkeley Project on the Nature and Extent of Antisemitism" beteiligt; erneut ist es Horkheimer, der den deutschen Ästheten aus seiner Isolation befreit und mit der amerikanischen Wissenschaft in Kontakt bringt (die Studie The Authoritarian Personality ist nicht zufällig jene Publikation, die Adorno in den USA erstmals eine gewisse Popularität beschert). 1949 kehrt Adorno nach Frankfurt zurück und erhält am wiedereingerichteten Institut für Sozialforschung eine außerplanmäßige Professur. Als wissenschaftlicher Leiter der "Hacker Foundation" betritt Adorno 1952 und 1953 schließlich nochmals amerikanischen Boden; "seither", so Adorno 1969 lakonisch, "bin ich nicht mehr in Amerika gewesen." (Adorno, Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, 144)
Worüber die Stationen eines alles in allem vergleichsweise unbedrängten Emigrantendaseins hinwegtäuschen – die existentielle Bedrohung eines Walter Benjamin etwa hat Adorno bekanntlich nicht wirklich zu spüren bekommen –, sind die Irritationen und Kommunikationsverweigerungen, die das Verhältnis zwischen dem deutschen Emigranten und seiner neuen Heimat von Anfang an prägten. Tatsächlich haben Adorno und seine amerikanischen Arbeitgeber kaum geglaubt, daß sich über ihnen ein gemeinsamer Himmel schließt, und beide Seiten scheinen die Erfahrung des Columbus noch einmal durchlebt zu haben: hier wie dort glaubte man auf eine wissenschaftliche Kultur zu stoßen, die sich der sei's geistfernen, sei's hermetischen Intelligibilität von Rauchzeichen bedient. Daß Adorno den Jazz nicht mochte und ihn bereits 1936 kritisch-philosophisch abgeführt hatte, erhöhte seine Beliebtheit und institutionelle Anschlußfähigkeit begreiflicherweise nicht sonderlich, wie seine "kritische" Soziologie zum amerikanischen Paradigma des "measurements", in das er sich murrend fügen mußte, ohnehin quer stand. Für Paul F. Lazarsfeld, dem Leiter des "Radio Research Projects" und amerikanisierten Austromarxisten, ist Adorno im März 1938 schließlich auch Anlaß für ein auffallend begütigendes Memorandum gewesen, das einerseits deutlich um Verständnis für den Emigranten bemüht ist, andererseits aber die Schwierigkeiten, die sich im täglichen Umgang mit dem im Habitus schon rettungslos akademisierten Mittdreißiger einstellten, kaum verbergen konnte. "He looks", so Lazarsfeld, "exactly as you would imagine a very absent-minded German professor, and he behaves so foreign that I feel like a member of the Mayflower Society. When you start to talk with him, however, he has an enormous amount of interesting ideas. As every newcomer, he tries to reform everything, but if you listen to him, most of what he says makes sense." (Zit. Barnouw, Beute der Pragmatisierung, 64) Für wie gelungen man Lazarsfelds Bild von der "Mayflower Society" auch immer halten mag (eigentlich eine hübsche Pointe; ein amerikanisierter Österreicher, der sich das kulturelle Erstaunen englischer Puritaner überstülpt) – Lazarsfelds Versuch, die Wogen zu glätten, folgt unübersehbar den Schemata eines euro-amerikanischen Diskurses, in dessen Zentrum die wechselseitige "Erfahrung" einer unüberbrückbaren kulturellen Alterität steht. Für die amerikanischen Intellektuellen ist Adorno Provokation und Grenze jeder intersubjektiven Verständigung; ein Umstand, den seine Beobachter in aller Regel einer spezifisch deutschen, für sie allerdings beunruhigenden und kommunikativ "irgendwie" esoterischen Geisteskultur zuschreiben. Robert Craft, der Adlatus Strawinskys, hat dem Philosophen der neuen Musik 1974 daher auch stellvertretend für die amerikanischen "humanities" vorgeworfen, daß "ein gewundenerer, abstruserer und blumig-unverständlicherer Stil […] kaum vorstellbar [ist]. Er kann wohl nur einem einzigen Zweck absichtlich dienen, nämlichen den höchsten Standard absoluter Verwirrung zu halten." (Zit. Jay, Adorno in Amerika, 355f.) Und selbst Beobachter, die unmittelbare Kontakte zu Adorno unterhielten, haben das diskursive Spiel vom Anderen mitgespielt; Irving Wohlfahrt, der in den 60er Jahren zu Adornos Studenten zählte, hielt seinen geistigen Mentor noch 1979 für einen "materialistischen Dandy" und "gestrandeten Geistesaristokraten." (Zit. Ebd., 356)
II
Äußerungen wie die zitierten machen deutlich, daß das Verhältnis zwischen Adorno und seiner amerikanischen Heimat letztlich um Sensibilitäten und Empfindlichkeiten kreiste, die auf beiden Seiten zu gereizten Tonlagen führten und eine Verständigung aussichtslos erscheinen ließen. Während Adorno – auch noch im Rückblick - sein staunendes Unverständnis angesichts einer dem Terror des Identitätsprinzips vollständig anheimgefallenen Kultur zum Ausdruck brachte, zogen sich nicht wenige amerikanische Intellektuelle in den Schmollwinkel zurück, um sich jene Wunden zu lecken, die ihnen der "autokratische Snobismus" (Barnouw, Beute der Pragmatisierung, 62) des deutschen Philosophen zugefügt hatte.
Nun lassen sich Adornos Amerika-Erfahrungen auch weiterhin in eine Hauspostille aufschlußreicher Anekdoten verwandeln, die dann jeweils Stoff und Beleg für die Richtigkeit der einen oder anderen Position liefern; wer "recht" gehabt hat – Adorno oder seine amerikanische Umwelt – läßt sich in anekdotischer Form jedenfalls ebenso leicht wie schwer beantworten. Vieles spricht demgegenüber dafür, daß Adorno sein amerikanisches Trauma jenseits eines von ihm selbst als "unbillig" empfundenen "Hochmuts gegen Amerika" (Adorno, Auf die Frage: Was ist deutsch, 108) in eine erlebnishermeneutische Perspektive gewendet hat, die die amerikanische Erfahrung als genetischen Bezugspunkt seines philosophischen Projekts im Ganzen behandelt – jenes Projekts, das das universalgeschichtliche Prinzip der Aufklärung, also die progressive Auslöschung der Natur in einer Kultur der totalen Abstraktion und zwanghaften Nivellierung alles Nicht-Identischen über ihre immanente Dialektik aufklären möchte und das seine Beweislasten an jener Kategorie abgleicht, die als "Kulturindustrie" unmittelbar auf die Erfahrungen in Amerika Bezug nimmt. In der Tat hat Adorno – entschiedener wohl als Horkheimer – die Genese einer Philosophie, die sich der Entlarvung und kritischen Reflexion der modernen Massenkultur verschreibt, an die Erfahrungen seiner Emigration gebunden, die ihm die verhängnisvolle, erneut zum Mythischen drängende Macht der Kulturindustrie – "Aufklärung schlägt in Mythologie zurück" (Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 6) - in ihrer reinsten und autoritärsten Form vorführte. Was immer Adorno jedenfalls im neonerleuchteten Raum der amerikanischen Popkultur wahrzunehmen glaubte – die trügerische "Unmittelbarkeit" der Improvisation im Jazz, die doch der immergleichen, aber undurchschauten "Stereotypik" (Adorno, Über Jazz, 88 bzw. 89) folgt; die sklavische Mimikry des teenagers an die normierte Individualität des Filmstars, an seine "personality", wie die Sprache der Reklame es möchte -, alles erweist sich als vollendete Herrschaft einer heimtückischen "Ersatzbefriedigung", die in den Menschen "das Wohlgefühl erweckt, die Welt sei in eben der Ordnung, die sie ihnen suggerieren will" (Adorno, Résumé über Kulturindustrie, 69) und die dem beobachtenden Soziologen – paradox genug – allererst in den Vereinigten Staaten aufgeht: "In Amerika wurde ich von kulturgläubiger Naivetät befreit, erwarb die Fähigkeit, Kultur von außen zu sehen. Um das zu verdeutlichen: mir war, trotz aller Gesellschaftskritik und allem Bewußtsein von der Vormacht der Ökonomie, von Haus aus die absolute Relevanz des Geistes selbstverständlich. Daß diese Selbstverständlichkeit nicht schlechterdings galt, darüber wurde ich in Amerika belehrt, wo kein stillschweigender Respekt vor allem Geistigen herrscht, wie in Mittel- und Westeuropa weit über die sogenannte Bildungsschicht hinaus; die Abwesenheit dieses Respekts veranlaßt den Geist zu kritischer Selbstbesinnung." (Adorno, Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, 144f.) Nimmt man diese und andere ähnlichlautende Zeilen ernst – an anderer Stelle heißt es, erst die "amerikanische Erfahrung" habe ihm die "manipulierte Schein-Spontaneität, das des 'aus zweiter Hand'" (Ebd., 115) der Kulturindustrie sichtbar gemacht - dann scheint es, als habe Adorno die späten Erinnerungen an seine amerikanischen Erlebnisse dazu genutzt, das philosophische Projekt der "kritischen Theorie" rückblickend aus einem Erlebniszusammenhang heraus zu rekonstruieren, der die Philosophie ihres Autors initial begründet und als reflexiven "Einspruch" gegen das "bloße Dasein" (Adorno, Résumé über Kulturindustrie, 66) entfaltet. Amerika ist jenes Erlebnis, dem die "kritische" Philosophie Adornos in nicht unwesentlichem Maße ihre monolithische Existenz und ihre verzweifelte Unversöhnlichkeit verdankt.
III
Als Adorno im Februar 1938 seine Arbeit an der "Music Study" des "Radio Research Project" (RRP) aufnimmt, tragen die Vorbehalte gegen Amerika freilich noch einen pragmatischeren Zug. Adorno sieht sich dem Zwang ausgesetzt, den Erhebungsregeln und "measurement"-Techniken der empirischen Sozialforschung, wie sie Lazarsfeld im RRP praktiziert, zu folgen und als methodologischen Richtwert seiner eigenen Tätigkeit zugrunde zu legen. Lazarsfelds empirisches Projekt vergleicht, kurz gesagt, Toilettenartikel mit Wahlentscheidungen; in beiden Fällen geht es um die Erhebung und Quanitifizierung von Bewußtseinsakten, die die Subjekte Zahncreme kaufen und Parteien wählen lassen. Dieses "decisions making", das Vorlieben und Abneigungen im Blick auf Radioprogramme, Parteien oder spezifische Produkte protokollieren soll, liegt für die empirische Sozialwissenschaft methodologisch auf einer prinzipiell gleichen Frageebene, weil unabhängig vom Objektbereich geklärt werden muß, unter welchen Bedingungen welche Entscheidungen getroffen werden.
Daß der empirische Sozialwissenschaftler mit Fragebögen und Richtmikrophonen an die Arbeit geht, mußte einem Soziologen, der an einer Theorie der Gesellschaft interessiert war, freilich als epistemologische Naivität erscheinen. Adorno hat diesen Widerstreit 1969 dann auch als Widerstreit soziologischer Paradigmen beschrieben - amerikanische Empirie hier, deutsche, und das heißt: kritische Sozialtheorie dort: "Ich empfand es als mir gemäß und als objektiv geboten, Phänomene zu deuten, nicht Fakten zu ermitteln, zu ordnen, zu klassifizieren, gar als Information zur Verfügung zu stellen; nicht nur in der Philosophie sondern auch in der Soziologie." (Adorno, Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, 113f.) Womit Adorno im Rahmen der "Music Study" schließlich konfrontiert wird, sind exakt jene Zumutungen des "admistrative research": erforscht werden soll, durch welche Radioprogramme der Konsument in die Bereitschaft versetzt wird, die industriell finanzierten und mit Werbung angereicherten Sendungen möglichst unterbrechungsfrei zu rezipieren. Selbstverständlich hat Adorno hier einen alptraumartigen Verblendungszusammenhang am Werk sehen müssen, den die empirische Sozialforschung, statt zu entlarven, noch weiter fortschreibt, indem sie die zur Diskussion stehende Musik rückhaltlos in die Zirkulationen des Marktes einspeist und sie so einzig unter dem Prinzip des Tauschwerts, der die Dinge ungeachtet ihres je konkreten Gebrauchswerts autoritär identifiziert, zur Geltung bringt. "Musik, mit all den Attributen des Ästhetischen und Sublimen, die ihr freigebig gespendet werden, dient in Amerika wesentlich der Reklame von Waren, die man erwerben muß, um Musik zu hören." (Adorno, Über den Fetischcharakter in der Musik, 19) Stärker noch aber hat Adorno das Ungenügen der empirischen Soziologie in ihrer stillschweigenden Unterstellung gesehen, daß der Proband der allmorgendlichen "Likes and Dislikes Study" spontan und unmittelbar reagiere – so als vollziehe sich die Reaktion des Hörers mit staunenden Augen und offenen Ohren. "Vermittlung" heißt Adornos theoretischer Einsatz, der den Götzen der Kulturindustrie wenn schon nicht austreiben, so doch in seiner heimtückischen Funktionsweise kenntlich machen soll. Denn "vermittelt" ist schlechthin jede Reaktion, weil sie sich selbst dem genormten Fundus passender Reaktionsweisen, die die Kulturindustrie ihren ahnungslosen Opfern vorgaukelt – Mimesis an der "verhexten Realität" (Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft, 13) -, bedient. Daß Adorno damit Elementen einer "negativen" Mediensoziologie auf der Spur gewesen ist, mag vom heutigen Standpunkt kaum mehr erstaunen; tatsächlich aber hat sich Adornos Blick für die Materialität der neuen Medien erheblich geschärft, die die Massen, so glaubte Adorno gegen die avantgardistischen Medienhoffnungen Benjamins und Brechts, in effektiver Weise konditionieren und insofern immer nur "vermittelte" Reaktionen ermöglichen: "Ich sträubte mich dagegen, Wirkungen zu konstatieren und zu messen, ohne sie in Beziehung auf jene 'Stimuli', nämlich die Objektivität dessen zu setzen, worauf die Konsumenten der Kulturindustrie, hier also: die Radiohörer, reagieren. Was nach den Spielregeln des orthodoxen social research axiomatisch war, der Ausgang von den Reaktionsweisen des Probanden als von einem Primären […] schien mir ein durchaus Vermitteltes und Abgeleitetes. Oder, vorsichtiger: es wäre erst von der Forschung zu ermitteln gewesen, inwieweit derlei subjektive Reaktionen der Probanden tatsächlich so spontan und unmittelbar sind, wie die Probanden meinen, oder wieweit dahinter nicht nur die Verbreitungsmechanismen und die Suggestionskraft des Apparats, sondern auch die objektiven Implikationen der Medien und des Materials stehen, mit denen die Hörer konfrontiert werden […]." (Adorno, Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, 118f.)
Die empirische Soziologie als Sozialpartner des "falschen Bewußtseins" (Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft, 30) ist freilich nicht Adornos letztes Wort geblieben. 1969 hat er für eine, wenn auch ungleichgewichtige Kooperation von "empirischer und theoretischer Soziologie" plädiert und sie mit dem Hinweis bekräftigt, daß "empirische Untersuchungen, auch im Bereich von Kulturphänomenen, nicht nur legitim sondern notwendig" (Adorno, Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, 129) seien. Fraglos ist dies Adornos ebenso später wie milder Beitrag zu einer deutsch-amerikanischen Verständigung, die drei Jahrzehnte zuvor gescheitert war.
IV
Wenn alle große Philosophie im Ausgang von Hegel auch Geschichtsphilosophie ist, dann ist Adornos Philosophieren dies in besonderer Weise. Denn der Prozeß einer Aufklärung, die ihre dunklen, autoritären Züge nicht reflexiv in sich aufnimmt und einen ausweglosen Bann über die gesamte Menschheitsgeschichte wirft, ist in letzter Konsequenz, so predigt die Philosophie Adornos, Verhängnisgeschichte. Was die Historie des Menschen ihrem Kern nach ausmacht, kommt freilich von weit her und ist das Immer-Eine Prinzip des Aufklärens: vom Raunen der Magie, die die Mimesis an der Natur betreibt, über die Erzählungen des Mythos und den Positivismus des 19. Jahrhunderts, der nun auch unter den wissenschaftlichen Begriff bringt, was sich der Identifikation entzog, bis in die Warenhäuser der kulturindustriell zugerichteten Moderne – jede geschichtliche Formation erstarrt im Panzer der vollständigen Naturbeherrschung und Abstraktion, die alle Differenz tötet und kein "Außen" mehr kennt: "Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur um so tiefer in den Naturzwang hinein. So ist die Bahn der europäischen Zivilisation verlaufen. Die Abstraktion, das Werkzeug der Aufklärung, verhält sich zu ihren Objekten wie das Schicksal, dessen Begriff sie ausmerzt: als Liquidation. Unter der nivellierenden Herrschaft des Abstrakten, die alles in der Natur zum Wiederholbaren macht, und der Industrie, für die sie es zurichtet, wurden schließlich die Befreiten selbst zu jenem Trupp, den Hegel als das Resultat der Aufklärung bezeichnet hat." (Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung, 19) In der Totale dieses universalgeschichtlichen Banns hat der Warentausch der bürgerlichen Gesellschaft die Führung übernommen, weil er das Prinzip der Abstraktion in die ökonomische Sphäre hineintreibt und alles unter dem einen Gesetz des Tauschwerts – unabhängig von der konkreten Einmaligkeit der Dinge – kommensurabel macht: "Setzt die Ware allemal sich aus Tauschwert und Gebrauchswert zusammen, so wird der reine Gebrauchswert, dessen Illusion in der durchkapitalisierten Gesellschaft die Kulturgüter bewahren müssen, durch den reinen Tauschwert ersetzt, der gerade als Tauschwert die Funktion des Gebrauchswertes trügend übernimmt." (Adorno, Über den Fetischcharakter in der Musik, 20)
Adornos geschichtsphilosophische Bilanz, die keine Rettung zu kennen scheint, ist nun zugleich auch, mit einem anspruchsvollen Begriff, Topologie, denn die äußerste Formation der Verhängnisgeschichte hat Adorno im kulturellen Stand der Vereinigten Staaten gesehen. Amerika ist das kulturindustriell restlos aufgesaugte El Dorado, das der geschichtsphilosophischen Diagnose der "Dialektik der Aufklärung" einen Ort gibt, und vieles weist daraufhin hin, daß Adornos Philosophie da, wo sie von Amerika spricht, einen posthistorischen Unterstrom hat. Denn der durchgebildete Identifikationszwang findet in Amerika einen topos, an dem die universale Verhängnisgeschichte zu ihrer äußersten globalen Entfaltung gefunden hat und im hektischen Betrieb der Kulturindustrie – um ihre geschichtliche Dynamik gebracht – gleichsam erstarrt oder, mit einem Begriff Arnold Gehlens, "kristallisiert" (Gehlen, Das Ende der Geschichte, 120) ist: als die in ihrem verhängnisvollen telos bereits eingetroffene Avantgarde, der die europäischen Länder als historisch noch rückständige Nachhut folgen: "Innerhalb der Gesamtentwicklung der bürgerlichen Welt haben fraglos die Vereinigten Staaten ein Extrem erreicht. Sie zeigen den Kapitalismus gleichsam in voller Reinheit, ohne vorkapitalistische Restbestände. Nimmt man, im Gegensatz zu einer freilich hartnäckig verbreiteten Meinung, an, daß auch die anderen nichtkommunistischen und nicht der Dritten Welt zugehörigen Länder auf einen ähnlichen Zustandsich hinbewegen, so bietet für einen Menschen, der weder in bezug auf Amerika noch auf Europa sich naiv verhält, Amerika die fortgeschrittenste Beobachtungsposition." (Adorno, Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, 146f.)
Was dem verzweifelten Philosophen angesichts des vollendeten Verhängnisses bleibt, ist eine Perspektive, die von ferne an den emblematischen Blick des 17. Jahrhunderts erinnert. Amerika wandelt sich unter den Augen Adornos in einen emblematischen Raum, in dem alle Phänomene der Massenkultur zu Bildern gerinnen, die sich auf der Ebene der pictura durchaus unterscheiden mögen, auf der Ebene der subscriptio aber ein und denselben Makel tragen: falscher Schein befriedigter Bedürfnisse, "kalkulierte Pseudo-Individualität" (Adorno, Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, 122), kurz: Sinnbild eines kulturindustriellen Schemas zu sein. Wenn die amerikanische Massenkultur das Prinzip der Abstraktion und der vorfabrizierten, zum Klischee erstarrten Individualität durch alle ihre Sensationen treibt, dann erblickt die emblematische Perspektive Adornos überall das Ewig-Eine des Identitätsprinzips: in der "sturen Einheit des Grundrhythmus" (Adorno, Zeitlose Mode, 144) im Jazz wie in der trügerisch "originellen Filmpersönlichkeit, der die Locke übers Auge hängen muß" (Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 163), im "normierenden Zwang" (Adorno, Amorbach, 23) architektonischer Stile wie im spezifisch amerikanischen Verfahren des "editing", das alle Texte unter die Knute der "Einheitlichkeit" (Adorno, Auf die Frage: Was ist deutsch, 109) zwingt. Einzig Europa trägt einen Moment des Reaktionären, weil der Primat des Geistes die "Ausbreitung des Warencharakters über alle Sphären" (Adorno, Auf die Frage: Was ist deutsch, 104) – vor allem in Deutschland – verhindert hat. Diese "Resistenzkraft" (Ebd.) der deutschen "Geisteskultur" (Ebd., 108) ist es, an der Adorno seine späten, kaum mehr aber positiv formulierbaren und nur im Modus der Reflexion sich vollziehenden Rettungsutopien ablesen wollte. Das Verhältnis, in dem Adorno Amerika und Deutschland als Embleme eines identischen Verblendungszusammenhangs und der vagen Hoffnung auf dessen reflexiver Transzendierung denkt, ist daher auffallend ambivalent: einerseits unterliegt die "technologische" Kultur Amerikas wie die "Geisteskultur" (Ebd.) Deutschlands gleichermaßen dem einen Bann universaler Abstraktion, andererseits beheimatet die deutsche Philosophie positive Gehalte, die sich am Leben erhalten, weil, mit einer berühmten Formulierung der Negativen Dialektik, "der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward. […] Nachdem Philosophie das Versprechen, sie sei eins mit der Wirklichkeit oder stünde unmittelbar vor deren Herstellung, brach, ist sie genötigt, sich selber rücksichtslos zu kritisieren." (Adorno, Negative Dialektik, 15) Adornos Denken gewinnt vor diesem Hintergrund den Stand einer "Lektüre", die die Philosophie auf die in ihr aufgehobenen, aber noch nicht realisierten positiven Potentiale hin befragt, indem sie die philosophische Tradition im Zeichen ihrer Ambivalenz, also einerseits im Zeichen ihrer Teilhabe am herrschaftlichen Bann der Geschichte, andererseits im Zeichen ihrer noch zur Verwirklichung strebenden Gehalte hin rekonstruiert und der rettungs-losen, weil in ihren konstitutiven Antagonismen verharrenden Kulturindustrie entgegenhält. Diesen, wenn man so will, prä-dekonstruktiven Zug mitsamt seinen in ihm beschlossenen Möglichkeiten hat Adorno freilich nur als regulativen Horizont verstanden, der angesichts des realen Verhängnisses letztlich chancenlos bleibt und im Modus eines immerwährenden Aufschubs auf seine ausstehende Verwirklichung wartet: "Man braucht den Unterschied zwischen einer sogenannten Geisteskultur und einer technologischen nicht zu leugnen, um gleichwohl über die sture Entgegensetzung sich zu erheben. So verblendet das nützlichkeitsgebundene Lebensgefühl sein mag, das, verschlossen gegen die unablässig anwachsenden Widersprüche, wähnt, alles sei zum besten bestellt, sofern es nur funktioniert, so verblendet ist auch der Glaube an eine Geisteskultur, die vermöge ihres Ideals selbstgenügsamer Reinheit auf die Verwirklichung ihres Gehalts verzichtet und die Realität der Macht und ihrer Blindheit preisgibt." (Adorno, Auf die Frage: Was ist deutsch, 108)
V
Wie wenig Adorno der "Chance des deutschen Geistes" (Ebd., 110) vertraut hat, zeigt auch jene "rückwirkende Kraft" (Adorno, Amorbach, 21; Negative Dialektik, 277), mit der sich selbst scheinbar noch nicht verdinglichte Formationen und "Orte" als Teil und Etappe des durchgebildeten Äquivalenzdenkens enthüllen lassen. "Rückwirkende Kraft" meint eine Beobachtungsposition, die vom fortgeschrittensten Stand des universalgeschichtlichen Banns – von Amerika aus – das ihm Vorausliegende und Vorangegangene, das sich dem autoritären Zwang der Naturbeherrschung scheinbar noch entzieht, als Weg zu eben jenem äußersten Punkt der instrumentellen Vernunft entlarvt. "Tatsächlich kann der Rückkehrer unendlich viel in Europa heraufkommen sehen oder bestätigt finden, was ihm in Amerika erstmals auffiel." (Adorno, Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, 147) In einer kleinen Skizze unter dem Titel Amorbach, die einen ungewohnt "privaten" Blick auf Adorno gestattet, ist die "rückwirkende Kraft" jenes Prinzip, die es dem Philosophen ermöglicht, auch noch das rückständige und vormoderne Gepräge Amorbachs, das im erinnernden Blick des Kindes als unvergleichlicher und "unaustauschbarer" (Adorno, Amorbach, 23) Ort – Ort der noch nicht getilgten Differenz - aufgehoben war, in den unaufhaltsamen Prozeß des Identitätsprinzips zu überstellen, weil an ihm – in der Homogenität des ländlichen Baustils wie in der Farbeinheit des "roten Sandsteins" (Ebd.) - bereits Züge des Normzwangs sichtbar werden. Mit anderen Worten: Amerika, das das Prinzip der Abstraktion bis in das Alltagsleben und die Stadtarchitektur als Embleme des Immergleichen treibt, markiert als Finale und Manifestation der universalen Verhängnisgeschichte einen Standpunkt, von dem aus jeder "Ort" und jede historische Formation bereits latent die Male einer normierenden Vernunft trägt, die ihren rückwärtigen Schatten auch über den Odenwald ausbreitet – Amerika in Amorbach: "Kommt man nach Amerika, so sehen alle Orte gleich aus. Die Standardisierung, Produkt von Technik und Monopol, beängstigt. Man meint, die qualitativen Differenzen wären derart real aus dem Leben verschwunden, wie sie fortschreitende Rationalität in der Methode ausmerzt. Ist man wieder in Europa, so ähneln plötzlich auch hier die Ortschaften einander, deren jede in der Kindheit unvergleichlich schien, sei es durch den Kontrast zu Amerika, das alles unter sich plattwalzt, sei es auch, weil, was einmal Stil war, schon etwas von jenem normierenden Zwang besaß, den man arglos erst der Industrie, zumal der kulturellen, zuschreibt. Auch Amorbach, Miltenberg, Wertheim sind davon nicht ausgenommen, wäre es auch nur durch den Grundton roten Sandsteins, der Formation der Gegend, die den Häusern sich mitteilt." (Ebd.)
Nun hat Adorno andererseits, wo ihm nicht utopisches Denken grundsätzlich als das affirmativ "Falsche" erschien, gerade in der Erinnerung an ein Amorbach, das sich dem kindlichen Blick als authentische Individualität zeigte, die vage Möglichkeit ins Auge gefaßt, dem Terror des Äquivalenzdenkens, wenn auch nur im Medium der Erinnerung, zu entgehen. Wenn auch das reale Stadtbild Amorbachs vom bedrohlichen Schatten Amerikas verdunkelt ist und in seinem heimeligen Fachwerk bereits die New Yorker Stahlskelette sehen läßt, so gelingt es doch, für den erinnerten Moment des kindlichen Spiels, das im "Niemandsland" (Ebd., 24) zwischen der "bayerischen und der badischen Grenze" (Ebd., 23) einen Raum noch nicht zugerichteter Differenz imaginiert, aus dem Identifikationsbann der Moderne herauszutreten und die Heraufkunft einer "Utopie" (Ebd., 24) zu ahnen, die als "vernünftig eingerichtete Welt das qualitativ Verschiedene wiederum zu einem Recht" (Adorno, Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, 147) kommen läßt: "Zwischen Ottorfszell und Ernsttal verlief die bayerische und badische Grenze. […] Reichlicher Zwischenraum zwischen beiden. Darin hielt ich mit Vorliebe mich auf, unter dem Vorwand, an den ich keineswegs glaubte, jener Raum gehöre keinem der beiden Staaten, sei frei und ich könne dort nach Belieben die eigene Herrschaft errichten. Mit der war es mir nicht ernst, mein Vergnügen darum aber nicht geringer. In Wahrheit galt es wohl den bunten Landesfarben […]. Ihr Friede versprach sich durch das festliche Ensemble des Verschiedenen […]. Das Land aber, das sie umschlossen, und das ich, spielend mit mir selbst, okkupierte, war ein Niemandsland. Später, im Krieg, tauchte das Wort auf für den verwüsteten Raum vor den beiden Fronten. Es ist aber die getreue Übersetzung des griechischen – Aristophanischen -, das ich damals desto besser verstand, je weniger ich es kannte, Utopie." (Adorno, Amorbach, 23f.)
VI
Aufmerksame Adorno-Leser – die 60er und 70er Jahre haben sich "ihren" Adorno immerhin stw-Band für stw-Band und Satz für Satz erobert – konnten allerdings immer schon wissen, daß das "festliche Ensemble des Verschiedenen" keine Qualität der Adornoschen Texte selbst ist. Adornos Werk gleicht nicht nur auf den ersten Blick einer desperaten Textmaschine, die allüberall das Ewig-Eine des globalen Identifikationszwangs und dessen unablässige Wiederkehr im Ton einer hoffnungslosen Verzweiflung niederlegt, und vieles spricht dafür, daß Adorno das universale Abstraktionsprinzip, das die Menschheitsgeschichte von Beginn an begleitet, dem Diskurs seiner Philosophie symbolisch anvertraut hat, um das "Gleiche" und "Eine" auch dem Text bis in seine innerste Struktur, und das heißt: bis in seine syntagmatische und paradigmatische Organisation hinein einzuprägen. Wenn Amerika der zentrale Erlebniszusammenhang ist, dem sich wesentliche Impulse des Adornoschen Denkens verdanken, dann ist Amerika auch ein Textgenerierungsprinzip, das jenen unverwechselbaren "Sound" erzeugt hat, der die Identifikation (!) seiner Texte so leicht macht und als Erzählung des Immergleichen – die Herrschaft des Äquivalenzzwangs, die Vernichtung aller Differenz, die Zurichtung der Dinge im Tausch – entfaltet.
Eine Philosophie freilich, die den universalgeschichtlichen Prozeß der Abstraktion nach eigener Auskunft "verklagen" möchte und die dennoch das idenfizierende Denken in das Innere ihrer Texte verlagert, gerät schnell in den Verdacht eines Selbstwiderspruchs. Adorno hat sein Textideal daher auch kaum im Aufschreiben des Ewig-Einen, sondern in einer Figur gesehen, die als "Konstellation" (Adorno, Negative Dialektik, 164; Ästhetische Theorie, 199) aus den immer schon herrschaftsförmigen Abstraktionen der Philosophie und ihrer begrifflichen Arbeit heraustritt. Weil das diskursive Denken der Philosophie das je Individuelle der bezeichneten Sache im Akt der Signifikation tilgt und jeden Begriff in ein Subsumtionsverhältnis zu anderen Begriffen stellt, wiederholt der Diskurs der Philosophie, so glaubte Adorno, jenen Zwang zur Abstraktion, über den die kritische Theorie gerade aufklären möchte. Die "Konstellation" nun löst die "Suprematie des Begriffs" (Gripp, Adorno, 130) in eine gleich-gültige Anordnung von Reflexionsmomenten auf, die zwar in einem spezifischen Verhältnis zu einander stehen, in ihrer gleichberechtigten "Versammlung" um den zu erkennenden Sachverhalt aber vielmehr reflexive "Belichtungen" und "Perspektiven" freigeben. Die "Konstellation" bildet mithin eine Metapher, die Hinweise darauf gibt, wie der Text idealerweise organisiert werden soll: als Summe autonomer, gleichsam frei schwebender Einzelmomente, die sich um die "zu erkennende Sache" (Adorno, Negative Dialektik, 164) wie Sterne und Monde um eine Himmelserscheinung versammeln und die sich insofern zwanglos zum Ganzen des Textes und seines "Gemeinten" (Ebd.) fügen, der dann seinerseits nur reflexiv durchschritten, nicht aber diskursiv resümiert werden kann: "Das einigende Moment überlebt […] auch ohne der Abstraktion als oberstem Prinzip sich zu überantworten, dadurch, daß nicht von den Begriffen im Stufengang zum allgemeineren Oberbegriff fortgeschritten wird, sondern sie in Konstellationen treten. Dieses belichtet das Spezifische des Gegenstands […]. Modell dafür ist das Verhalten der Sprache. Sie bietet kein bloßes Zeichensystem für Erkenntnisfunktionen. Wo sie wesentlich als Sprache auftritt, Darstellung wird, definiert sie nicht ihre Begriffe. Ihre Objektivität verschafft sie ihnen durch das Verhältnis, in das sie die Begriffe, zentriert um eine Sache, setzt. Damit dient sie der Intention des Begriffs, das Gemeinte ganz auszudrücken. […] Indem die Begriffe um die zu erkennende Sache sich versammeln, bestimmen sie potentiell deren Inneres, erreichen denkend, was Denken notwendig aus sich ausmerzte." (Ebd., 164f.)
Adornos Hoffnung auf eine philosophische Sprache, der im Moment der "Konstellation" von Begriffen Erkenntnis zu teil wird, ist freilich immer eine Hoffnung der deutschen Sprache und ihrer (unterstellten) wesensmäßigen Affinität - ihrer "Wahlverwandtschaft" (Adorno, Auf die Frage: Was ist deutsch, 110) - zur philosophischen Reflexion gewesen. Auch wenn die Negative Dialektik, die Ästhetische Theorie und andere Hauptwerke Adornos jeden Zug ins Herrschaftliche und Totalitäre programmatisch abweisen, hat Adorno an anderer Stelle doch unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß die vage Aussicht auf Rettung und Versöhnung einzig ein Monopol der deutschen Sprache ist. Diese "Chance des deutschen Geistes" (Ebd.) besteht Adorno zufolge in einer Sprache, die den Zwang zur bloßen Signifikation abstreift und jene "Kraft zum Ausdruck" (111) bewahrt, die das Gemeinte – jenseits der Herrschaft des Bezeichnens und über sie hinaus – umstellt und der Reflexion näherungsweise zugänglich macht. Deutsche, und das heißt: philosophische Sprache ist daher un-übersetzbar: "Man kann diese spezifische Eigenschaft der deutschen Sprache am drastischsten sich vergegenwärtigen an der fast prohibitiven Schwierigkeit, philosophische Texte obersten Anspruchs wie Hegels Phänomenologie des Geistes oder seine Wissenschaft der Logik in eine andere zu übersetzen. Das Deutsche ist nicht bloß Signifikation fixierter Bedeutungen, sondern hat von der Kraft zum Ausdruck mehr festgehalten, als an den westlichen Sprachen der gewahrt, welcher nicht in ihnen aufwuchs, dem sie nicht zweite Natur sind. Wer aber dessen versichert sich hält, daß der Philosophie, im Gegensatz zu den Einzelwissenschaften, die Darstellung wesentlich sei […], der wird auf das Deutsche verwiesen." (Ebd., 110f.)
VII
"Nordamerikaner glücklich, keine Basalte zu haben, keine Ahnen und keinen klassischen Boden" (Goethe, Gedichte, Versepen, 493) notiert Goethe 1819 in ein geologisches Studienheft. Und acht Jahre später heißt es in kreuzgereimten Versen an Carl Friedrich Zelter: "Amerika, du hast es besser / Als unser Kontinent, das alte, / Hast keine verfallene Schlösser / Und keine Basalte. / Dich stört nicht im Innern, / zu lebendiger Zeit, / Unnützes Erinnern / Und vergeblicher Streit." (Ebd., 224) Die Sehnsucht des Europäers nach einem basalt- und das heißt: geschichts- und traditionslosen Raum, der eine tabula rasa der alten europäischen Kultur verheißt, zählt zu jenen literarischen Amerika-Euphorien des 19. Jahrhunderts, die die Vereinigten Staaten noch als große Alternative und Entwurf eines anderen Lebens feierten (vgl. Bauschinger u.a., Amerika in der deutschen Literatur; Ritter, Deutschlands literarisches Amerikabild), um im 20. Jahrhundert schließlich die Aura des bezaubernden Mythos gänzlich einzubüßen. (vgl. Durzak, Das Amerika-Bild in der deutschen Gegenwartsliteratur) Amerika ist, sieht man von den Details einer alles andere als geradlinig verlaufenden Rezeption ab, schnell ein Ort geworden, dem man vor allem schreibend den Rücken kehrte, weil die Hoffnungen und Utopien von einem entfesselten Kapitalismus oder - dies die Eindrücke nicht weniger Intellektueller in der unmittelbaren Nachkriegszeit – von einem schrankenlosen Imperialismus aufgesogen wurden, ohne daß auf dem Boden Europas überzeugende Auswege sichtbar geworden wären.
Auch Adornos spekulative Einübungen in die "Wahlverwandtschaft" von deutscher Sprache und kritischer Philosophie bilden letztlich einen Kommentar zu jenem deutsch-amerikanischen Diskurs, der sich durch alle Phasen des Adornoschen Denkens zieht und der doch keineswegs singulär ist. Bei aller Milde, mit der Adorno kurz vor seinem Tod die Erfahrung "Amerika" ausgebreitet hat – unübersehbar bleibt, daß die vehemente Verdammnis der amerikanischen Massenkultur einer traditionsreichen eurozentrischen Reflexionsfigur gehorcht, die Europa innerhalb einer globalen Kontextur gewohnheitsmäßig als fortgeschrittenes Bewußtsein und reflexives Monopol installiert. Adornos Perspektive setzt damit lediglich fort, was die intellektuelle Amerika-Kritik, gleich ob aus rechten, "kulturkonservativen" oder linken, "kulturrevolutionären" Lagern, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu erzählen wußte: daß Amerika außerhalb der europäischen Geistestradition steht und gerade deshalb zu einer geistigen Identität nicht findet, wie Hugo von Hofmannsthal 1927 als Gründungsakte seiner "schöpferischen", ganz in der europäischen Überlieferung verhafteten "Restauration" betonte: "Nicht durch unser Wohnen auf dem Heimatboden, sondern durch ein geistiges Anhangen vor allem sind wir zur Gemeinschaft verbunden. Hierdurch unterscheiden sich unsere alten europäischen Nationen von jenem jungen, nach außen mächtigen amerikanischen Staatswesen, in dem wir eine Nation in diesem Sinne noch nicht zu erkennen vermögen." (Hofmannsthal, Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation, 32) Tauft man das berüchtigte "geistige Anhangen" Hofmannsthals auf den Namen der "kritischen Theorie", wird man die diskursiven Parallelen zwischen München und Frankfurt, zwischen austro-restaurativer Geisteskultur und kritischem Bewußtsein nicht übersehen können. Denn auch Adornos autoritäre Abwicklung der amerikanischen "Kulturindustrie" nutzt eine genuin europäische Selbstbeschreibungstechnik, die sich auf den Flügeln des Geistes und seiner literarisch-philosophischen Tradition zum reflektierten "Anderen" der amerikanischen Kultur, die keine ist, aufschwingt. Daß deren kritische Reflexion und Transzendierung offenbar allein die "kritische Theorie" zu leisten imstande ist, hebt das philosophische Projekt Adornos überdies in die Position einer Beobachtung 2. Ordnung, die vor der selbstverantworteten Zumutung steht, es besser zu wissen, und das heißt: Beschreibungen anzufertigen, die sich nicht in der Kontextur auch anders möglicher Beschreibungen relativieren. Was der "kritischen Theorie" mithin als ihr "blinder Fleck" entgeht, ist die Einsicht, daß ihre autoritäre Selbstverortung als "fortgeschrittenes Bewußtsein" gerade jenen herrschaftlichen Diskurs teilt und fortsetzt, den die Philosophie Adornos rückhaltlos verklagen möchte. Es ist diese unbegriffene Paradoxie, die Amerika zum Schatten des Adornoschen Denkens macht.

Literatur:

Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie. Hrsg. von G. Adorno und R. Tiedemann, Frankfurt/M. 1973.
- Ders., Amorbach. In: ders., Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt/M. 1967.
- Ders., Auf die Frage: Was ist deutsch. In: ders., Stichworte. Kritische Modelle, Frankfurt/M. 31970.
- Ders., Kulturkritik und Gesellschaft. In: ders., Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft, Frankfurt/M. 1955.
- Ders., Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. In: Gesammelte Schriften 4. Hrsg. von R. Tiedemann, Frankfurt/M. 1980.
- Ders., Negative Dialektik, Frankfurt/M. 1975.
- Ders., Résumé über Kulturindustrie. In: ders., Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt/M. 1967.
- Ders., Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens. In: ders., Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt, Göttingen 61982.
- Ders., Über Jazz. In.: ders., Moments musicaux. Neu gedruckte Aufsätze 1928-1962, Frankfurt/M. 1964.
- Ders., Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika. In: ders., Stichworte. Kritische Modelle, Frankfurt/M. 31970.
- Ders., Zeitlose Mode. Zum Jazz. In: ders., Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft, Frankfurt/M. 1955.
Dagmar Barnouw, Beute der Pragmatisierung. Adorno und Amerika. In: W. Paulsen (Hrsg.): Die USA und Deutschland. Wechselseitige Spiegelungen in der Literatur der Gegenwart, Bern/München 1976.
Sigrid Bauschinger/Horst Denkler/Wilfried Malsch (Hrsg.): Amerika in der deutschen Literatur. Neue Welt – Nordamerika – USA, Stuttgart 1975.
Manfred Durzak: Das Amerika-Bild in der deutschen Gegenwartsliteratur. Historische Voraussetzungen und aktuelle Beispiele, Stuttgart u.a. 1979.
Arnold Gehlen, Das Ende der Geschichte? In: ders., Einblicke, Frankfurt/M. 1975.
Johann Wolfgang Goethe, Gedichte, Versepen. In: Werke in sechs Bänden, Band I. Mit einem Essay von Emil Staiger, Frankfurt/M., 1993.
Helga Gripp, Theodor W. Adorno. Erkenntnisdimensionen negativer Dialektik, Paderborn 1986.
Hugo von Hofmannsthal: Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation. In: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden, Reden und Aufsätze III, hrsg. von B. Schoeller, Frankfurt/M., 1980.
Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt/M. 1988.
Martin Jay, Adorno in Amerika. In: L. von Friedeburg/J. Habermas (Hrsg.): Adorno-Konferenz 1983, Frankfurt/M. 1983.
Alexander Ritter (Hrsg.): Deutschlands literarisches Amerikabild. Neuere Forschungen zur Amerikarezeption der deutschen Literatur, Hildesheim/New York 1977.